Im Zwielicht der Zeit - Buch ist mehr - Verlag 3.0
Im Zwielicht der Zeit - Buch ist mehr - Verlag 3.0
Im Zwielicht der Zeit - Buch ist mehr - Verlag 3.0
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
»Du b<strong>ist</strong> am Leben«, sagte Gertrud mit Wärme und<br />
umarmte ihren Bru<strong>der</strong>.<br />
»Am Leben. « Monoton sprach Paul ihre letzten<br />
Worte nach, dann blickte er grübelnd vor sich hin.<br />
Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus. Gertrud<br />
hatte das Gefühl, als ob er etwas sagen wolle, etwas, was<br />
ihm sehr wichtig zu sein schien, aber sie drängte ihn<br />
nicht. Still saß sie da und wartete. Wenn er wollte, würde<br />
er reden.<br />
»Am Leben«, wie<strong>der</strong>holte er noch einmal<br />
ge<strong>ist</strong>esabwesend. Dann sah er seine Schwester mit<br />
einem Blick an, <strong>der</strong> eine Reife und einen tiefen Ernst<br />
wi<strong>der</strong>spiegelte, die sie vorher nicht an ihm gekannt<br />
hatte. Er <strong>ist</strong> mit Gewalt vom Kind zum Mann gemacht<br />
worden, dachte sie, aber es ging über seine Kräfte.<br />
»Ich habe das Gefühl, als müsste ich ganz neu<br />
anfangen zu leben. Alles, was früher war, <strong>ist</strong> so weit weg<br />
von mir. Ich bin nicht <strong>mehr</strong> <strong>der</strong>selbe, <strong>der</strong> ich war, als ich<br />
mich freiwillig gemeldet habe, voller Bege<strong>ist</strong>erung, das<br />
Vaterland zu verteidigen. Mein Gott, was haben sie uns<br />
erzählt von Vaterlandsliebe und nationaler Größe, von<br />
Mannespflicht und Heldentum. Wir waren Kin<strong>der</strong>, wir<br />
haben ihnen geglaubt. Ob sie wohl wussten, wohin sie<br />
uns schickten?«<br />
Die Bitterkeit, die aus seinen Worten klang,<br />
erschreckte Gertrud.<br />
Paul sprach jetzt leise, nur zu sich selbst. »Aber wer<br />
bin ich? Wer will ich sein? Alles <strong>ist</strong> ins Wanken geraten,<br />
ich habe keinen festen Grund <strong>mehr</strong>, auf dem ich stehen<br />
kann. Ich muss mich neu zurechtfinden, einen<br />
Mittelpunkt für mein Leben suchen, damit ich nicht ins<br />
Bodenlose falle.«<br />
116