Im Zwielicht der Zeit - Buch ist mehr - Verlag 3.0

anziehen sollte. Ihr Blick fiel auf das graue
Musselinkleid. Das kann ruhig ein paar Flecke
abbekommen, dachte sie. Es ist alt und abgetragen. Ich
hätte es längst ausrangiert, aber man kann ja nichts
Neues kaufen. Sie streifte es über und begann ihr Haar
aufzustecken.
Erinnerungen stiegen in ihr auf. Mit Paul bin ich
früher oft ins Heidelbeerkraut entwischt, wenn wir mit
den Eltern spazieren gingen, dachte sie. Einen blauen
Mund und blaue Finger haben wir uns geholt, und oft
hatten wir Flecken in unseren Kleidern. Dann war
Mutter verärgert, aber so richtig schimpfen konnte sie
eigentlich nie. Ein wehmütiges Lächeln spielte um
Gertruds Lippen. Damals war das Heidelbeerpflücken
noch Spiel und Spaß gewesen, wir naschten von den
Sträuchern, bis wir satt waren oder keine Lust mehr
hatten. Heute wird es richtige Arbeit werden. Emmy
will Saft, Marmelade und Kompott einkochen, wie sie
das schon mit all den Früchten aus dem Garten getan
hat. So viele Gläser stehen schon im Keller! Die
nimmermüde Emmy! Ich finde, ich muss ihr wirklich
einmal helfen.
Als Gertrud in die Küche kam, stand ihr Frühstück
schon bereit: eine Tasse Malzkaffee und zwei Scheiben
Brot mit Pflaumenmus ohne Butter, denn die war knapp
und teuer.
Während sie ihr Frühstück aß, betrachtete sie
neugierig die Dinge, die Emmy zurechtgelegt hatte:
zwei Kämme, zwei kleine Schüsseln und zwei große
Eimer.
»Mit den Kämmen streifen wir die Beeren vom
Heidelbeerkraut ab in die kleinen Schüsseln«, erklärte
77