Im Zwielicht der Zeit - Buch ist mehr - Verlag 3.0
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Seide. Eine innere Unruhe erfüllte sie, eine unbestimmte<br />
Sehnsucht, die sie verwirrte. Sie wehrte sich dagegen,<br />
schob sie von sich weg, unterdrückte sie. Sie zog ein<br />
Negligé über und setzte sich wie<strong>der</strong> auf den Hocker vor<br />
den Frisiertisch. Gedankenverloren sah sie ihr<br />
Spiegelbild an. Vierundzwanzig Jahre war sie nun alt.<br />
Was war ihr Leben bisher gewesen? Eine glückliche,<br />
behütete Kindheit, eine sorglose Jugend. Die<br />
Erinnerung daran zauberte ein Lächeln auf ihre Züge,<br />
das bei dem Gedanken an den Tod <strong>der</strong> Mutter jäh<br />
verschwand. Dieser Schicksalsschlag hatte sie wie eine<br />
Katastrophe getroffen. Wenn Mutter noch leben würde,<br />
wie an<strong>der</strong>s wäre alles, dachte sie. Ich hätte eine<br />
Vertraute, einen Menschen, <strong>der</strong> mich versteht, dem ich<br />
alles sagen könnte, was mich bewegt. Ich liebe Vater, ja,<br />
aber er <strong>ist</strong> oft so fern und unnahbar. Wie habe ich mich<br />
bemüht, ihm zur Seite zu stehen in jenen schweren<br />
Tagen, obwohl ich manchmal selbst keine Kraft <strong>mehr</strong><br />
hatte. Niemand, auch Vater nicht, hat bemerkt, wie es in<br />
mir aussah, denn ich versuchte, nach außen hin ruhig<br />
und gelassen zu erscheinen. Dabei hatte ich oft das<br />
Gefühl, dass alles um mich herum zusammenbrechen<br />
würde. Wie abwesend strich sie eine Haarsträhne<br />
zurück, die ihr in die Stirn gefallen war.<br />
Die Gedanken an den Verlust <strong>der</strong> Mutter ließen die<br />
Erinnerung an Wilhelms Tod lebendig werden, wühlten<br />
die Gefühle von Schmerz und Trauer wie<strong>der</strong> auf. Es war<br />
wie ein Abgrund, <strong>der</strong> sich vor mir auftat. Ich hatte Angst<br />
hineinzustürzen. Monatelang hatte ich immer wie<strong>der</strong><br />
das Gefühl, als schwanke <strong>der</strong> Boden unter meinen<br />
Füßen, dachte sie. Ich war ohne Richtung in meinem<br />
Leben, ohne Ziel, hilflos ausgeliefert an ein Geschehen,<br />
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