Im Zwielicht der Zeit - Buch ist mehr - Verlag 3.0
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mit ihr gestorben. Eine lange <strong>Zeit</strong> saß er so da, bis ihn<br />
plötzlich ein Geräusch aufschreckte.<br />
Mit Erstaunen nahm er wahr, dass Tageslicht ins<br />
Zimmer fiel. Die Tür war leise geöffnet worden. Gertrud<br />
stand im Türrahmen, gefasst, aber mit bleichem,<br />
übernächtigtem Gesicht. Sie ging auf den Vater zu. Eine<br />
Welle von Liebe und Mitgefühl stieg in ihr auf.<br />
Sie wusste, wie sehr er seine Frau geliebt, wie viel er mit<br />
ihr verloren hatte. Ihr eigener Schmerz um die tote<br />
Mutter ließ sie das Leid des Vaters mitfühlen. Sie<br />
schlang zärtlich die Arme um ihn, eine Geste, die es<br />
schon lange nicht <strong>mehr</strong> zwischen ihnen gegeben hatte.<br />
Er ließ es wie selbstverständlich geschehen. Gertrud<br />
konnte sich nicht erinnern, dass ihr Vater sie in den Arm<br />
genommen hatte, seit sie dem Kleinkindalter<br />
entwachsen war. Eine Respekt gebietende Autorität war<br />
immer von ihm ausgegangen, eine d<strong>ist</strong>anzierte Strenge.<br />
Die Kin<strong>der</strong> wussten sich von ihm geliebt, er gab ihnen<br />
Sicherheit und Geborgenheit. Aber gleichzeitig war die<br />
Übermacht seiner starken Persönlichkeit stets<br />
allgegenwärtig. Sein Wort war Gesetz. Je<strong>der</strong> hatte sich<br />
nach ihm zu richten. Wi<strong>der</strong>spruch o<strong>der</strong> kleine<br />
Ungehorsamkeiten wurden nicht geduldet. Er regierte<br />
sein Hauswesen und seine Familie wie ein guter<br />
Patriarch: mit Liebe, aber auch mit Strenge; mit<br />
Verantwortungsbewusstsein, aber Gehorsam for<strong>der</strong>nd;<br />
gerecht, aber unduldsam gegenüber Meinungen, die er<br />
nicht teilte; mit einer Autorität, die je<strong>der</strong> in seiner<br />
Umgebung spürte und die in seinem Charakter<br />
begründet war. Es schnitt Gertrud ins Herz, ihren<br />
starken Vater so zu sehen, gramgebeugt, ein schwacher<br />
Mensch.<br />
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