Katastrophen machen Geschichte - oapen
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Heuschreckenkalamitäten in Brandenburg<br />
dass es uns nicht verhältnismäßig erschien, uns um weitere Konkretisierungen zu bemühen.<br />
Richtig ist, dass sich aus den Akten Klagen über die von Heuschreckenbefall<br />
verursachten Schäden finden. Diese Schäden wurde jedoch nicht (nach unserer<br />
Kenntnis ist eine Schadensbilanz nur einmal in den Akten erhalten, s.u.) ins Verhältnis<br />
zu längerfristigen Ernteerträgen gestellt oder in sonst einer geeigneten Weise in seiner<br />
Größenordnung skizziert. 50 Die Supplikanten und Beamten berichteten über gefühlten<br />
Schaden, nicht über zahlenmäßig abgeschätzte, objektive Ernteeinbußen. Diese Argumentationsweise<br />
entspricht dem Muster des 18. Jh.s. Anstelle heute geläufiger Belege<br />
in Zahlenform traten damals Überzeugungsargumente, deren Wirksamkeit von der<br />
Autorität des Vortragenden abhing. Entsprechend sind zeitgenössische Schätzungen,<br />
wenn sie denn überhaupt mit Zahlen unterfüttert wurden, oft Zeugnisse von Phantasiebegabungen<br />
unter den argumentierenden Parteien. 51<br />
Ebenfalls nicht für die Abschätzung des Schadensausmaßes geeignet sind Angaben zu<br />
Befallsdichten, weil es für solche Befallsdichten keine Bezugsgrößen zu einer aus ihnen<br />
abzuleitenden Schätzung des potentiellen Ernteausfalls gibt. 52 Angaben über Befallsdichten<br />
selbst fehlen zudem. Für das Amt Lebus sind jedoch Berichte über Sprengsel-<br />
Sammlungen im Juni 1753 und Juli 1754 erhalten. Zu dieser Zeit sind Fraßschäden am<br />
Getreide ganz sicher bereits mit erheblichen Ernteausfällen verbunden. Im Juni 1753<br />
wurden im Kreis Lebus rund 573 m3 Sprengsel eingesammelt (siehe hierzu Abb. 6), im<br />
Juli 1754 waren es auf annähernd der gleichen Fläche 366 m3. 53 Beide Zahlen sprengen<br />
bereits die Vorstellungskraft. Doch der weitere oben aufgeführte Akteneintrag von<br />
1753 berichtete dem König, dass im Ober-Barnimschen Kreis (schließt nach Norden<br />
an den Kreis Lebus an) „um die wenigste Quantität zu nennen, gewiß über tausend<br />
Wispel im ganzen Kreise gerechnet, eingegraben und getötet worden“ wären. Diese<br />
Zahl entspräche 1300 m3. 54<br />
50 Einen Anhalt für unsere Vorstellung könnten z.B. heuschreckenbedingte Ernteausfälle liefern, die<br />
von der FAO für das Heuschreckenjahr 1997 in Madagaskar angegeben werden. Dort kam es zu<br />
folgenden Ernteausfällen: bei Mais 60 %, bei Reis 30 %, bei Maniok 12 % und bei Kartoffeln 30 %.<br />
Wenn man nun von der zeitgenössischen Durchschnittsernte bei Getreide in Brandenburg („das 5.<br />
bis 6. Korn“) die Größenordnung 30 % als heuschreckenbedingten Ernteausfall annehmen wollte,<br />
wären nur 4 Körner als Ertrag übrig. Davon geht eines zur Saat weg und ein weiteres als Lagerverlust.<br />
Es verbleiben zwei Körner. Damit wird das Bedrohungsausmaß plötzlich vorstellbar und gewinnt<br />
ernsthafte Dimensionen, zumal noch kein weiteres Grundnahrungsmittel zur Verfügung steht, auf<br />
das elastisch ausgewichen werden konnte. Dieser Vergleich ist indes nur begrenzt zulässig, weil es<br />
keine heuschreckenbedingten linearen Ausfälle über die gesamte Ernte gegeben haben kann.<br />
51 Beispiele hierzu bei Herrmann (2007): Beitrag.<br />
52 Krünitz berichtet darüber, dass bei einem Einfall der Heuschrecken in den Hafer während der<br />
frühen Wuchsphase des Getreides überraschender Weise keine nennenswerten Ernteausfälle zu<br />
erwarten wären.<br />
53 umgerechnet aus Rohdaten in Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin-Dahlem,<br />
II. HA, Kurmark Materien, Tit. CCLXVIII Nr. 2, Vol. II. Die Sammelliste für 1753 ist wiedergegeben<br />
in Herrmann (2007): Beitrag.<br />
54 nach Bericht der Kurmärkischen Kammer zur Vorlage beim König am 20.7.1753. Unpaginierte<br />
Akte wie vorstehend.<br />
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