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Katastrophen machen Geschichte - oapen

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156<br />

Patrick Masius<br />

und 18. Jahrhundert wurden die zerstörerischen Sturmfluten vornehmlich als<br />

Strafe Gottes gedeutet. Trotzdem entwickelte sich die Deichbautechnik in dieser<br />

Zeit. In einer Supplik aus dem Jahr 1635 „bekannten sich die Verfasser der Schrift<br />

zur prinzipiellen Ohnmacht der Menschen gegenüber einer göttlichen Strafmaßnahme,<br />

zugleich aber sahen sie die Möglichkeit, sich vor Schäden zu schützen, die<br />

gewissermaßen ‚am Rand‘ dieser Maßnahme eintraten.“ 13 Durch einen Mitteldeich<br />

sollten Schäden abgewendet werden, falls die Seedeiche brechen sollten. Der<br />

Husumer Bürgermeister führte in einer Schrift von 1765 kausalmechanische<br />

Zusammenhänge, natürliche Gegebenheiten und technische Möglichkeiten in Bezug<br />

auf die Wiederaufnahme eines Bedeichungsprojektes auf. Gottes Segen hält er<br />

für das Gelingen des Projektes gleichzeitig für entscheidend.<br />

Nach der Sturmflut von 1756 erklärten Pellwormer Supplikanten ihre Machtlosigkeit<br />

gegenüber der göttlichen Strafe. In ihrer Darstellung waren die Zerstörungen<br />

nicht auf schlecht erhaltene Deiche zurückzuführen, sondern durch<br />

Deiche, gleich welcher Höhe, nicht zu verhindern gewesen. Für gewöhnliche Fluten,<br />

die nicht von Gott gesandt waren, hegten sie Vertrauen in ihren Deich. 14 „Die<br />

Pellwormer gaben damit ein deutliches Zeugnis von der [...] ‚zweigleisigen‘ Verhaltensweise:<br />

Während sie einerseits die ihnen zur Verfügung stehenden – weltlichen<br />

– Mittel nutzten, um sich so gut wie möglich gegen die andringenden Fluten zu<br />

wappnen, deuteten sie das außergewöhnliche Wirken des Meeres gleichzeitig als<br />

Ausdruck des göttlichen Willens und versuchten auch auf der metaphysischen<br />

Ebene, Schutz vor Wellen zu erlangen.“ 15 In einem Gespräch zweier Deichrichter<br />

wurde ausnahmsweise der Anspruch an die Deiche gelegt, „dass selbst‚wann Gott<br />

mahl Wasserfluth verhängte, [...] das Land auch trocken werde.“ 16 Für die Vertreter<br />

der Kirche war dagegen das Festhalten an göttlichen Deutungen wichtig, um das<br />

Vertrauen in göttliche Kraft zu stärken. 17 Zwischen diesen beiden Extrempositionen<br />

erstreckte sich das Dilemma zwischen Machbarkeit und Machtlosigkeit. Die<br />

Lösung liegt, laut Allemeyer, in der Differenzierung zwischen „normalen Sturmfluten“<br />

und „als Gottesstrafe gedeuteten Schadensfluten“. Das bedeutet, sobald die<br />

Deiche nicht mehr hielten, zog man sich auf theozentrische Deutungen zurück.<br />

Jakubowski-Tiessen und Lehmann betonen aber, dass die Interpretation der<br />

Katastrophe als Gottesstrafe keineswegs praktische Maßnahmen unterband.<br />

„Brände wurden gelöscht, Verschüttete wurden nach Erdbeben ausgegraben, Menschen<br />

und Vieh, die bei Hochwasser zu ertrinken drohten, wurden auf höher gelegenes<br />

Terrain gerettet. Lokale und nachbarschaftliche Initiative wurde durch die<br />

Hilfe von Regierungsseite ergänzt.“ 18<br />

13 Ebd., S. 353.<br />

14 Ebd., S. 352-356.<br />

15 Ebd., S. 357.<br />

16 Ebd., S. 345.<br />

17 Ebd.<br />

18 Jakubowski-Thiessen, M. / H. Lehmann (Hg.) (2003): Um Himmels Willen. Religion in <strong>Katastrophen</strong>zeiten,<br />

Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen, S. 11.

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