Katastrophen machen Geschichte - oapen
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‚Alltägliche Extreme?‘<br />
Auf den ersten Blick scheint dieses Bedingungsgefüge nicht im 18. Jahrhundert,<br />
geschweige denn in der gesamten Frühen Neuzeit, auffindbar. Es schiene mithin<br />
angebracht, den „Schädlings“-Begriff für historische Untersuchungen der Frühen<br />
Neuzeit nicht zu verwenden. Obgleich wir uns der Andersartigkeit der Konstruktionen<br />
bewusst bleiben müssen, sprechen aus meiner Sicht allerdings zwei Gründe<br />
dafür, auch vom „Schädling“ in der Vormoderne zu reden. Zum einen, ganz<br />
pragmatisch, vermeidet die Rede vom „Schädling“ Missverständnisse. 6 Zum anderen:<br />
Ich denke, dass sich nicht nur jener Aspekt der Saldierung, die dem Schädling<br />
eingeschrieben wird, im 18. Jahrhundert findet. Es sei in diesem Zusammenhang<br />
vermerkt, dass dieser verwaltende Blick auf die Dinge konstitutiv für die „Schädlingsfrage“<br />
ist, wie bereits Bernd Herrmann unterstrich. 7<br />
Vor allem jedoch scheint die Pervertierung des „Schädlingsbegriffs“ im 20.<br />
Jahrhundert nur denkbar, weil sich signifikante Spuren bereits im 18. Jahrhundert<br />
finden lassen. Was sich im 18. Jahrhundert abzeichnet, ist eine anders gelagerte<br />
moralische Wertvorstellung, wie mit den „Schädlingen“ zu verfahren ist, wie sie zu<br />
bekämpfen sind. Ich werde dies exemplarisch verdeutlichen. Was sich eindeutig<br />
nicht in der Frühen Neuzeit, auch nicht an deren Übergang zur Neuzeit, findet, ist<br />
allerdings die universelle Ent-Artung des „Schädlings“. Das Schädliche bleibt somit<br />
immer konkret rückgebunden an die biologische Art, ist nicht übertragbar auf den<br />
Menschen und bedroht daher auch nicht die conditio humana. Um dieses zu unterstreichen,<br />
argumentiere ich wie folgt: In einem Schritt, als historische Vergleichsfolie,<br />
skizziere ich den Diskurs über den „Schädling“ gegen Ende des 17.<br />
und zu Beginn des 18. Jahrhunderts in exemplarischer Art – in der so genannten<br />
Hausväterliteratur und der ‚vorklassischen‘ Naturgeschichte. Hieran anschließend<br />
zeichne ich die hauptsächlichen Konturen des Diskurses über den „Schädling“ in<br />
der kameralistischen respektive staatswissenschaftlichen Literatur nach, 8 wobei ich<br />
mich ausschließlich auf das Sub-Genre der „gemeinnützigen Naturgeschichte“<br />
beziehe. Abschließend suche ich zu begründen, welches Bedingungsgefüge maßgeblich<br />
für die zu zeigende semantische Radikalisierung des „Schädlings“ war.<br />
2 „Schädlinge“ in der vorindustriellen Agrargesellschaft<br />
Agrarische Gesellschaften dürften sich seit der Neolithischen Revolution immer<br />
wieder mit agrarischen „Schädlingen“ auseinandergesetzt haben. Zuvorderst, da<br />
diese Tiere – Pflanzen wären ein eigenes Kapitel – auch direkte Nahrungskonkurrenten<br />
waren. Ob es nun Wölfe und Füchse, Otter und Marder, Maulwürfe und<br />
Hasen oder Mäuse und Ratten waren, sie alle traten in der einen oder anderen<br />
6 Würde ich heute mit dem Topos „culturschädliche Thiere“ konfrontiert, dächte ich wohl eher an<br />
Pittbulls und Bullterrier, denn an Steinmarder, Fischotter und Füchse.<br />
7 Vgl. Herrmann: Beitrag, S. 135-148.<br />
8 Vgl. zu diesem Genre: Sandl, M. (1999): Ökonomie des Raumes. Der kameralistische Entwurf der<br />
Staatswirtschaft im 18. Jahrhundert, Böhlau: Köln / Weimar.<br />
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