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Katastrophen machen Geschichte - oapen

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Christof Mauch<br />

Preis. Die schleichenden Veränderungen der Landschaft blieben weitgehend<br />

unbemerkt. Während der das Wurzelwerk der Gräser zerstörende Pflug die<br />

ohnehin stark ausflockenden Böden umbrach, trug das subaride Klima der Prärie<br />

zur Austrocknung des Terrains bei. Natur und Mensch beförderten gemeinsam<br />

und unversehens die strukturelle Veränderung der Böden. Das Erdreich wurde zu<br />

Staub, und es bedurfte nur noch heftiger Winde, um die Prärie 1935 in eine<br />

Staubschüssel, die Dust Bowl, zu verwandeln.<br />

Die Region, in der sich die Katastrophe ereignete, hatte schon immer zu den am<br />

wenigsten dicht besiedelten Gebieten Nordamerikas gehört. Die unmittelbaren<br />

Folgen der Dust Bowl tangierten nur einen kleinen Teil der US-Bevölkerung. Dass<br />

die Katastrophe dennoch die ganze Nation beschäftigte, hatte mit einem Projekt<br />

der Farm Security Administration (FSA) zu tun, die just zwischen 1935 und 1944,<br />

im Rahmen des New Deal, eine Fotodokumentation veranlasste, die den<br />

Amerikanern ihr eigenes Land vor Augen führen sollte. „Introducing America to<br />

Americans", hieß die Parole, mit der neun Fotografen – unter ihnen Dorothea<br />

Lange, Walker Evans und Gordon Parks – ihre Eindrücke auf Zelluloid bannten.<br />

Die Bilder wurden zu Zeitdokumenten par excellence. Sie zeigten die Misere eines<br />

Landes, das von der Großen Depression und von der Dust Bowl getroffen war.<br />

Fotografien von vertriebenen Familien und Migranten, von verlassenen Höfen,<br />

versandetem Gerät und desolaten Wüsten, wo einst Getreide stand, fanden<br />

Eingang in die Tageszeitungen im ganzen Land, da die demokratische Regierung in<br />

Washington Wert auf kostenlose Distribution der Bilder legte. Auch MacLeishs<br />

Gedichte in „Land of the Free“ von 1938 waren jeweils mit markanten Fotografien<br />

der FSA-Fotografen kombiniert. Die erschütternden Darstellungen von<br />

verwüsteten Landschaften und von der Erosion menschlichen Schicksals wurden<br />

zu Sinnbildern einer Ära (Heideking u. Mauch 2008: 248-252). Die Dust Bowl<br />

wurde zur ikonischen Katastrophe, die verwüstete Landschaft zum nationalen<br />

Erinnerungsraum.<br />

Neben den Bilddokumenten der Regierungsfotografen waren es vor allem<br />

John Steinbecks 1939 veröffentlichter Roman „Früchte des Zorns“ (Grapes of<br />

Wrath) und dessen epische Verfilmung durch John Ford, die die<br />

gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und menschlichen Folgen der Dust Bowl<br />

Katastrophe naturalistisch zur Sprache brachten und nachhaltig in Szene setzten.<br />

Das alttestamentliche Thema des Exodus und die scharfe Kritik an den<br />

Grundbesitzern, die die wirtschaftliche Depression und die Dürrejahre<br />

mitverschuldet hatten, wurden zu Leitmotiven, die immer wieder aufgegriffen<br />

wurden – nicht zuletzt von Woody Guthrie, dessen Dust Bowl Ballads bis heute in<br />

jedem gut sortierten US-amerikanischen CD-Laden zu finden sind.<br />

Qualität und Appeal der Gedichte, Fotografien, Filme und Folksongs, die aus<br />

der Katastrophe hervorgingen, waren sicherlich wichtige Faktoren, die zur<br />

Fortschreibung und Kanonisierung der Dust Bowl Erinnerung beitrugen. Zugleich<br />

dürfte deren Wirkung aufs Engste mit der zeitlichen Koinzidenz von Dust Bowl

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