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Katastrophen machen Geschichte - oapen

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186<br />

Reinhard Bodner<br />

Der Dolomitabbau wird in diesen Denkmustern teils als Symptom einer Gesamtgeschichte<br />

der ausgebeuteten Natur angesehen, die bereits mit den Fuggern begonnen<br />

habe. Noch häufiger ist aber der Versuch festzustellen, ihn von der positiv<br />

bewerteten <strong>Geschichte</strong> des Silberbergbaus abzuspalten: Während die mittelalterlichen<br />

und frühneuzeitlichen „Knappen“ mit „Ehrfurcht in den Berg hineingefahren“<br />

wären, hätten die modernen „Mineure“ ihn „mit radikalen Maßnahmen ausgebeutet“<br />

59. Die wachsende Bedeutung der Sprengtechnik im modernen Bergbau,<br />

die in Schwaz freilich über eine länger zurückreichende Tradition verfügt, wird<br />

dabei als entfremdete Beziehung von Mensch und Natur gedeutet: Die „Mineure“<br />

hätten im Berg bloß die Lunte gelegt und dadurch die „Beobachtungsgabe“ für<br />

seine Gesetzmäßigkeiten verloren. Dementsprechend scheint sich auch die raumgreifende<br />

Wirkung des Bergbaus radikal verändert zu haben: Im Unterschied zu<br />

den „harmlosen, niedrigen Stollen“ der historischen Erzlagerstätte, die nach und<br />

nach wieder zusammengeschrumpft und gleichsam natürlich verheilt seien, wird<br />

die massige Form der modernen Dolomitlagerstätte mit riesigen unterirdischen<br />

„Domen“ assoziiert, die der Tagoberfläche so nahe gekommen wären, dass von<br />

draußen bereits erste Sonnenstrahlen hereingesehen hätten. 60<br />

Expressive Vorstellungsbilder dieser Art erwiesen sich in den Interviews mit<br />

den Evakuierten als stark verbreitet. Ihre Popularität lässt darauf schließen, dass<br />

der Untertageabbau der direkten Anschauung der meisten Anrainer nicht zugänglich<br />

war; außerdem gab es kaum Kontakte zu den Bergleuten, die zum Großteil in<br />

anderen Stadtteilen oder im Umland wohnhaft waren. Im Kontext der <strong>Katastrophen</strong>wahrnehmung<br />

zog dies nicht nur ein Interesse an anschaulichen Erklärungen,<br />

sondern auch Projektionen verschiedener Art auf sich. Auffällig dabei ist das<br />

gleichzeitige Vorhandensein verschiedener Deutungsmuster. Bedenkt man, dass<br />

der Schwazer Bergbau in seiner Blütezeit eine Vorreiterrolle in technologischer<br />

und ökonomischer Hinsicht innehatte, ist es zum Beispiel nur auf den ersten Blick<br />

widersinnig, wenn andere Versuche der Abgrenzung von Erz- und Dolomitabbau<br />

in eine scheinbar gegenläufige Richtung weisen: Ersterer sei eigentlich „hochmodern“<br />

gewesen, er habe die Industrialisierung auf vielen Gebieten vorweggenommen,<br />

während es sich bei Letzterem um ein antiquiertes Überbleibsel handle, das<br />

mit dem Fortschritt nicht Schritt gehalten habe. Diese bagatellisierende Perspektive<br />

spitzt sich, ähnlich wie in der Argumentation der Bergbauanhänger, in einer Konfrontation<br />

von kleiner Ursache und großer Wirkung zu: Ein „Mickey-Mouse-<br />

Bergbau“ von verschwindender Bedeutung habe ausgereicht, um Unglück über<br />

einen ganzen Ort zu bringen. Es sei verwunderlich, dass man ihn nicht schon lange<br />

Zeit vor den Felsstürzen zugesperrt habe. 61<br />

59 IS 1 (06.09.2007), männl., Jg. 1953.<br />

60 Ebd.<br />

61 Ebd. u. IS 1 (05.09.2007), männl., keine Angaben zum Jahrgang.

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