Katastrophen machen Geschichte - oapen
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56 Sarah Schmitz<br />
der Stadtmauern gewesen sein. Handwerker und Dienstleister wie z.B.<br />
Wasserträger wurden rar, so dass Bauern hier eine neue Beschäftigung finden<br />
konnten. Die höheren Löhne lockten zusätzlich. 55 Zudem hoffte man in der Stadt<br />
vielleicht auch auf bessere Zukunftschancen für sich und seine Familie. Prinzipiell<br />
war den Bauern und ihren Söhnen das Verlassen ihrer Ortschaft verboten. Der<br />
iqta’-Inhaber oder seine Angestellten konnten sie zurückholen lassen. 56<br />
Wahrscheinlich sahen viele daher in den Wirren der Pest eine Möglichkeit, aus<br />
unfreien Arbeitsverhältnissen zu fliehen und sich in der Stadt eine neue Existenz<br />
aufzubauen. Sie entgingen damit nicht nur den Repressionen der iqta’-Inhaber,<br />
sondern auch der Beduinen, die in Krisenzeiten vermehrt Angriffe und Überfälle<br />
begingen. 57 Die geschwächte Ressource „Arbeitskraft“ scheint sich also vom Land<br />
auf die städtischen Bevölkerungszentren verlagert zu haben.<br />
Der demographische Einbruch auf dem Land bedingte das Aussterben<br />
zahlreicher Dörfer, ja ganzer Landstriche. Bei dem Vergleich eines Katasters aus<br />
dem Jahre 1315 mit einem Kataster, das 1527/28 angefertigt wurde, zeigt sich, dass<br />
allein in al-Buhayra, einer Provinz am südwestlichen Rand des Nildeltas, eine<br />
Reduzierung des Kulturlandes um mehr als 50% zu verzeichnen war; 41 Dörfer<br />
wurden aufgegeben; es gab einen Bevölkerungsrückgang von um die 60%. 58 Die<br />
Erträge aus der landwirtschaftlichen Produktion sanken im 15. Jahrhundert von<br />
über neun auf weniger als zwei Millionen Dinar. 59 Die Ernteausfälle hatten<br />
Auswirkungen auch auf das Rohstoff verarbeitende Gewerbe. Fast fünfzig<br />
Zuckerraffinerien wurden bis Anfang des 15. Jahrhunderts aufgegeben. 60<br />
Diese Entwicklungen, die sich innerhalb von mehr als 200 Jahren ereigneten,<br />
sind vermutlich nicht allein auf die Pest zurückzuführen; Faktoren wie Kriege,<br />
andere Seuchen, schlechte Arbeitsbedingungen und das bereits mehrfach erwähnte<br />
marode Bewässerungssystem mögen dabei ebenso eine Rolle gespielt haben. Doch<br />
ist anzunehmen, dass die Pest mit ihren schwerwiegenden demographischen<br />
Folgen sicherlich der Hauptgrund für die partielle Aufgabe der Ressource „Land“<br />
gewesen ist.<br />
Auch, wenn nicht alles verlassene Land unter den Mamluken wieder neu<br />
besiedelt wurde – nach der osmanischen Eroberung bemühten sich die neuen<br />
Herrscher weiterhin um eine Wiederbelebung ländlicher Gegenden in Teilen<br />
Ägyptens 61 –, so war diese Ressource doch zu kostbar, um sie vollkommen<br />
aufzugeben. Eine Möglichkeit, die Ressource „Land“ weiterhin zu kontrollieren,<br />
war die Übertragung von iqta’s an Beduinengruppen. Dies beinhaltete allerdings<br />
55 Vgl. al-Maqrizi: Suluk, S. 786; Dols: Black Death S. 163; Haarmann: Osten, S. 248.<br />
56 Vgl. Rabie: Aspects, S. 80 f.<br />
57 S.u.<br />
58<br />
Vgl. Michel, N. (2002): Villages désertés, terres en friche et reconstruction rurale en Égypte au<br />
début de l’époque ottomane. In: Annales Islamologiques, Jg. 36, S. 197-251, S. 229.<br />
59<br />
Haarmann: Osten, S. 247.<br />
60<br />
Vgl. ibid.<br />
61 Vgl. Michel: Villages, S. 218 ff.