Katastrophen machen Geschichte - oapen
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Patrick Masius<br />
häufig auf „Natur“ als Verursacher gezielt. Zweitens, müssen sie es schaffen die<br />
Betroffenen zu unterstützen, eine soziale Ordnung wieder herzustellen und der<br />
Bevölkerung eine sicherere Zukunft in Aussicht zu stellen. Naturkatastrophen sind<br />
also ausgesprochen politische Ereignisse.<br />
Im Rückblick auf die zentraleuropäische Tradition, zeigt sich ein dominierendes<br />
Muster in der institutionellen – aber auch privaten – Verarbeitung von<br />
Naturkatastrophen. Auf der einen Seite erklärte man sich nach der Katastrophe für<br />
ohnmächtig gegenüber den Kräften Gottes oder der Natur. Auf der anderen Seite<br />
wurden gleichzeitig unterschiedlichste Maßnahmen ergriffen um solchen Situationen<br />
Herr zu werden. Nachfolgend wird dieses Muster vom Mittelalter bis ins späte<br />
19. Jahrhundert verfolgt. Es wird die augenscheinliche Diskrepanz in der Gleichzeitigkeit<br />
von Machbarkeit und Machtlosigkeit durch ein interessegeleitetes Vorgehen<br />
erklärt.<br />
2 Religion und Technik vor der Aufklärung<br />
Der Vater der jüngeren historischen <strong>Katastrophen</strong>forschung Arno Borst hat in<br />
seinem grundlegenden Artikel zum Erdbeben von Villach (1348) wichtige Einsichten<br />
zum Umgang mit <strong>Katastrophen</strong> seit dem 14. Jahrhundert gegeben. Erdbeben,<br />
Pestwellen, Heuschreckenplagen, Flächenbrände und Sintfluten ließen das Bild<br />
eines allgemeinen Aufruhrs der Elemente entstehen. „Als Urheber einer derartigen<br />
Prüfung der Menschheit kam allein Gott, der Herr über Natur und <strong>Geschichte</strong> in<br />
Betracht.“ 2 Borst betont, dass nicht ein einzelnes <strong>Katastrophen</strong>ereignis oder die<br />
„Kassandrarufe der Sensiblen“ 3, sondern die generelle Bedrohung Abwehrkräfte<br />
mobilisierte. „Sie widersetzten sich nicht dem Schöpfergott, aber dem vorherrschenden<br />
Glauben, daß gegen die Schwäche der Einrichtungen im Diesseits bloß<br />
die Ausrichtung der Hoffnungen aus dem Jenseits helfe“ 4. Diese Aufspaltung von<br />
Ohnmacht gegenüber dem Jenseits und Machbarkeit im Diesseits vollzog sich<br />
innerhalb der Mentalität in Politik, Gesellschaft und Wissenschaft. Der Fürstenstaat<br />
sorgte für Schutzmaßnahmen und das Großbürgertum nahm sich die Freiheit,<br />
das Kapital zur Selbsthilfe gegen das Unbewältigte einzusetzen. In der Geschichtsschreibung<br />
wurden Erfahrungen mit dem Unerwarteten gesammelt, während<br />
im gelehrten Bereich das Unvorstellbare durch Kausalketten einzugrenzen<br />
versucht wurde. 5 „Der allmähliche Wandel der Einstellungen förderte die Abkehr<br />
vom frommen Stillhalten im Tal der Tränen, die Hinwendung zur tätigen Aneignung<br />
des Diesseits […]“ 6 Angetrieben wurde dieser Wandel durch den allgemeinen<br />
2 Borst, A. (1981): Das Erdbeben von 1348 – Ein historischer Beitrag zur <strong>Katastrophen</strong>forschung. In:<br />
Historische Zeitschrift, Bd. 233, S. 558.<br />
3 Ebd.<br />
4 Ebd., S. 559.<br />
5 Ebd.<br />
6 Ebd.