Katastrophen machen Geschichte - oapen
Katastrophen machen Geschichte - oapen
Katastrophen machen Geschichte - oapen
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
188<br />
Reinhard Bodner<br />
„Man nimmt der Natur etwas und macht daraus etwas. Das war so direkt, das war<br />
archaisch irgendwie, das hat man verstanden. Es gibt die Bauern, die Fischer und<br />
die Bergleute.“ 66 Zugleich werden aber auch Analogien zum modernen Streben<br />
nach Naturbeherrschung hergestellt, wie etwa zum Alpinismus: „Wenn du einmal<br />
im Berg drinnen bist, das ist das Gleiche wie wenn du Bergsteiger bist: Jeder sagt,<br />
er hat den Berg bezwungen. Aber eigentlich ist es so: Der Berg hat dich hinauf<br />
gelassen und wieder herunter.“ 67<br />
Dem Entfremdungsverhältnis zur Natur, das den Bergleuten von ihren Kritikern<br />
unterstellt wurde, antwortet damit ein „demütiges“ Bild von Natur als Primärerfahrung.<br />
Dieses kontrastiert nicht nur mit dem akademischen Wissen verschiedener<br />
Felssturz-Gutachter, die den Berg mitunter nie von innen gesehen hätten,<br />
sondern legitimiert auch eine Zurückweisung der Felssturz-Schuldzuweisung,<br />
die als Ausdruck von Unwissenheit eines Teils der Anrainer angesehen wird: Die<br />
alteingesessenen Bauern, die mit dem Bergbau aufgewachsen seien, hätten mit der<br />
natürlichen Steinschlaggefahr am Eiblschrofen ebenso umzugehen gewusst wie die<br />
Bergleute. Hingegen hätten die Neuzugezogenen und die Verantwortlichen für die<br />
Bauland-Freigabe diese Gefahr verkannt und außerdem den Bezug zur Bergbaugeschichte<br />
verloren. 68 Wie die Kritiker des Bergbaus postulieren damit auch seine<br />
Anhänger einen historischen Bruch, der statt in der Bergbau- jedoch in der Siedlungsgeschichte<br />
verortet wird, und verknüpfen damit eine moralisierende Botschaft:<br />
Die Metapher von der rächenden Natur findet ihren Gegenentwurf, wenn<br />
auf die Bestrebungen der Stadtgemeinde, ein sicheres Leben am Eiblschrofen zu<br />
ermöglichen, die Erwiderung folgt, „daß es in einer Welt, die technisch beherrschbar<br />
scheint, immer noch den Souverän Natur gibt, der sich durch Menschenhand<br />
weder beeinflussen noch bezwingen lässt“. 69<br />
4.3 Der „Sieg über die Naturgewalten“ und sein Preis<br />
Gerade die Utopie der technisch beherrschbaren Natur war es aber, die in manchen<br />
Verhaltens- und Argumentationsmustern auf beiden Seiten mehr oder weniger<br />
unbewusst zu einer „Obsession des faktischen Beherrschtseins der Natur“ 70<br />
wurde: So feierte die Stadtgemeinde nach der Fertigstellung der Dämme bei einem<br />
66 Aussage eines Bergmanns bei einer Exkursion des Spezialforschungsbereichs HiMAT zum Thema<br />
„Die Felsstürze am Eiblschrofen aus volkskundlich-kulturwissenschaftlicher Sicht“ am 24.01.2009.<br />
67 IS 2 (16.10.2007), männl., Jg. 1956; die kursiven Hervorhebungen drücken Betonungen aus.<br />
68 Vgl. etwa IS 2 (14.08.2007), männl., Jg. 1955.<br />
69 Wirtschaft im Alpenraum (Innsbruck), November 1999.<br />
70 Engels, J. I. (2003): Vom Subjekt zum Objekt. Naturbild und Naturkatastrophen in der <strong>Geschichte</strong><br />
der Bundesrepublik Deutschland. In: Groh, D. / Kempe, M. / Mauelshagen, F. (Hg.): Naturkatastrophen.<br />
Beiträge zu ihrer Deutung, Wahrnehmung und Darstellung in Text und Bild von der Antike<br />
bis ins 20. Jahrhundert, Narr: Tübingen (= Literatur und Anthropologie, Bd. 13), S. 119-142, hier<br />
141; Hervorhebung im Original.