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Katastrophen machen Geschichte - oapen

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Reinhard Bodner<br />

ter“ des Menschen erklärt, die ihr Innerstes heimtückisch vor ihm verberge, obwohl<br />

die dortigen Schätze eine Grundlage der Zivilisation seien. Der Mensch könne<br />

daher gar nicht anders, als die Natur mithilfe technischer Mittel zu unterwerfen<br />

und damit zugleich auch zu perfektionieren, wobei er ebenso unvermeidlich auch<br />

großen Gefahren ausgesetzt sei.<br />

Die Bergbaupraxis und ihre Sinnstiftung sind dabei weder im strikten Gegensatz<br />

noch völlig deckungsgleich zu denken. Deutungsofferte wie das „Stiefmutter“-<br />

Konzept leiteten die Durchsetzung technischer Neuerungen an, die wiederum mit<br />

einer Verdrängung älterer, religiös intendierter Vorstellungen verbunden waren.<br />

Doch kann auch ein sehr junges zeitgeschichtliches Beispiel wie jenes der Felsstürze<br />

von 1999 zeigen, dass das Verdrängte nicht untergegangen ist, sondern untergründig<br />

weiterlebt. Auffällig ist die „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ (Bloch),<br />

mit der vormodern anmutende Konzepte (Bergbau als Gabentausch mit der Natur)<br />

den Vorwurf der Natur- und Geschichtsentfremdung des Dolomitabbaus<br />

entkräften sollen, während der Hinweis auf die technische Beherrschbarkeit der<br />

Natur (der Bergmann als Maschinist) weniger mit der nüchternen Ausbeutung<br />

„toter Materie“ als mit einem alchemistisch anmutenden Motto verbunden wird:<br />

„Dolomit für immerdar!“ Ein solches Versprechen kann die Natur nicht selbst<br />

einlösen; es erinnert vielmehr an die Utopie einer künstlich bewirkten Wiedergeburt<br />

anorganischer Ressourcen, die auf Unsterblichkeit zielt. 83<br />

Ein ähnliches Ineinander von alt und modern anmutenden Konzepten lässt<br />

sich in der Interpretation und Verarbeitung der Felsstürze als „Katastrophe“ beobachten:<br />

Sind die Deutungsmuster der Bergbau-Anhänger symptomatisch für ein<br />

aktives Verhältnis des Menschen zur Natur, das vielleicht nirgends „so extrem und<br />

klar faßbar wie im Bergbau“ ist, 84 hängen die Sinnstiftungsversuche der<br />

„Oberflächner“ mit der schwer auszuhaltenden Erfahrung eines aktiven Verhältnisses<br />

der Natur zum Menschen zusammen. Dies kann die Wiedergeburt religiös<br />

motivierter Erklärungen ebenso nach sich ziehen wie eine Zivilisationskritik, die<br />

sich auf die Natur- und Geschichtsentfremdung sowie die blinde Sorglosigkeit der<br />

Anrainer bezieht. Schon innerhalb der leibmetaphorischen Bilder des Bergs vollzieht<br />

sich aber der Übergang zu einem schwächeren Bild der Natur, das die Zivilisation<br />

teils zu vernichten droht („Weiblschrofen“), teils durch mehr Zivilisation<br />

korrigiert werden soll („Intensivpatient“). Darin angelegt ist die Abkehr vom aufklärerischen<br />

Paradigma, dass das Naturgeschehen unabhängig vom Menschen<br />

stattfinden könne und eine Teilhabe an der Konjunktur anthropogener <strong>Katastrophen</strong>ursachen<br />

seit den 1980er-Jahren, die als profanierte Wiederkehr straftheologi-<br />

83 Vgl. dazu ebd., 88-97.<br />

84 Lackner, H. (2001): „Es ist die Bestimmung der Menschen, daß sie die Berge durchwühlen“. Bergbau<br />

und Umwelt. In: Hahn, S. / Reith, R. (Hg.): Umwelt-<strong>Geschichte</strong>. Arbeitsfelder – Forschungsansätze<br />

– Perspektiven, Verlag für <strong>Geschichte</strong> und Politik: Wien (= Querschnitte, Bd. 8), S. 77-98, hier<br />

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