Katastrophen machen Geschichte - oapen
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Carsten Stühring<br />
meinde Untermenzing versammelt sich außerhalb ihres Dorfes zu einer Prozession.<br />
Um die Wallfahrtskirche Sankt Leonhard sind die dem Schutzheiligen anheim<br />
gestellten Tiere gruppiert. Das Votivbild macht deutlich, wie die Landbevölkerung<br />
unter der Leitung eines Pfarrers eine Viehseuche bewältigte.<br />
Die erwähnte Pfarrgemeinde führte neben der Wallfahrt auch eine Prozession<br />
durch, um göttlichen Beistand zu erhalten. Prozessionen haben stets einen<br />
identitätsstiftenden Charakter, da aus der „[…] Erfahrung der Prozession ein<br />
Gefühl, das die Identität als Gemeinschaft auch jenseits dieses religiösen Rituals<br />
festigt“ 33, erwächst. Im Kontext der bayerischen Rinderseuchenbewältigung wurden<br />
wiederholt Prozessionen abgehalten, die auch zu Wallfahrtsorten führen<br />
konnten. Die kurbayerische Regierung unterstützte während des 18. Jahrhunderts<br />
jene religiöse Bewältigungsform. Im frühen neunzehnten Jahrhundert traten<br />
Staat und religiös motivierte Personen diesbezüglich in einen Gegensatz zueinander:<br />
Das nunmehr königliche Bayern untersagte Prozessionen, woraufhin zahlreiche<br />
Pfarrgemeinden darum baten, dennoch gemeinschaftliche Bittgänge abhalten<br />
zu dürfen, um so Viehseuchen und anderes Unheil abzuwenden. 34 Nur vereinzelt<br />
sind Einwilligungen dieser Supplikationen überliefert. Der bayerische<br />
Staat ging somit anders als die Mitglieder vieler Pfarrgemeinden nicht mehr davon<br />
aus, dass religiöse Bewältigungsstrategien wie Prozessionen Rinderseuchen<br />
eindämmen konnten.<br />
Die ländliche Bevölkerung Kurbayerns suchte also im 18. Jahrhundert auf<br />
verschiedenen Wegen die Unterstützung Gottes, um Rinderseuchen abzuwenden.<br />
Die geistliche wie weltliche Obrigkeit befürwortete die Maßnahmen und erst<br />
im beginnenden 19. Jahrhundert verstärkten sich widersprüchliche, mithin konflikthafte<br />
Sichtweisen.<br />
4 Die tiermedizinische Ebene<br />
Wenn die bayerische Verwaltung jenseits des Geistlichen Rates sich auch erst<br />
spät gegen religiöse Bewältigungsformen wandte, so hatte sie wie auch die Tiermedizin<br />
zur Bekämpfung von Rinderseuchen vor allem säkulare Methoden angeordnet<br />
und empfohlen. Selten thematisierten die kurfürstlichen Beamten in Seuchenverordnungen<br />
die Relevanz der göttlichen Macht. In einem Mandat von<br />
1735 hofften die Autoren, von zukünftigen Rinderseuchenausbrüchen verschont<br />
zu bleiben, „[...] so der Allgütige GOTT gnädiglich abwenden wolle [...]“. 35<br />
33 Habermas: Wallfahrt, S. 84.<br />
34 Vgl. StA Mü LRA 16081 Schreiben der Gemeinde Thierhaupten vom 20. Mai 1817, Schreiben des<br />
Pfarrvikars Johann Georg Schraid aus Neukirchen vom 23. Mai 1817, Zeugnis des Pfarrers Rieginger<br />
aus Haßelbach vom 24. Mai 1817, Zeugnis des Pfarrers Schmid und des Landesobmanns Michael aus<br />
Oberbaar vom 26. Mai 1817.<br />
35 Bay HStA Mandatensammlung Kurbayern 18.10.1735, S. 3.