Katastrophen machen Geschichte - oapen
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,Schleichende <strong>Katastrophen</strong>‘ 35<br />
Kulturschicht direkt unter dem Pflughorizont. Im anderen Bereich wurde die Kulturschicht<br />
von einer bis zu 70 cm mächtigen, mehrfach unterteilten, lehmighumosen<br />
Sandauflage bedeckt. Diese Auflage kann als sogenannter Auftragsboden<br />
gedeutet werden. Die ganze Siedlung bestand maximal 100 Jahre. Das bedeutet,<br />
dass vergleichsweise rasch die vorhandenen Böden soweit degradiert waren, dass<br />
eine Art Düngung notwendig war. Dies geschah, indem man an anderen Stellen<br />
den Oberboden abtrug, z. T. zuerst als Streu verwendete oder mit Tierdung mischte<br />
und dies dann auf die Felder auftrug (,Plaggenwirtschaft‘). Dazu waren riesige<br />
Flächen notwendig, geht man doch davon aus, dass für einen Hektar Auftragsboden<br />
zuvor 20 Hektar bestehenden Bodens abgetragen werden mussten. Die<br />
anthropogenen Bodenumlagerungen waren vermutlich zumindest mitverantwortlich,<br />
dass die Menschen dieses Siedlungsgebiet schließlich aufgaben. Schon in der<br />
vorausgegangenen Jungsteinzeit hatten Besiedlungsphasen zur Übernutzung und<br />
Zerstörung der Böden, d. h. Entblößung der Oberfläche geführt. Sandauswehungen<br />
bzw. Überlagerungen von Flächen mit Sand bis zur Dünenbildung waren die<br />
Folge gewesen. Die Ausgrabung in Neuenhagen erbrachte darüber hinaus noch<br />
einen Befund, der möglicherweise etwas über die Wahrnehmung und den Umgang<br />
mit den Bodenproblemen überliefert hat. Dort, wo der Auftragsboden über der<br />
Kulturschicht aufsitzt, haben die Menschen eine massive Setzung von Scherben,<br />
mit einem Durchmesser von ca. 80 cm, deponiert, auf die zusätzlich ein ungewöhnliches,<br />
sogenanntes Etagengefäß gesetzt war. Diesem Befund etwas<br />
,kultisches’ zuzusprechen, liegt nahe. Der Ort der Deponierung legt einen Zusammenhang<br />
mit den Böden nahe: Handelte es sich also um einen Bodenritus im Kontext<br />
der Krisenbewältigung? 10<br />
Der Bodenkundler und Landschaftsforscher Hans-Rudolf Bork hat in zahlreichen<br />
Untersuchungen die mittelalterliche Erosion in Mitteleuropa dokumentiert. 11<br />
Er stellte insbesondere die intensive Landnahme seit dem frühen Mittelalter heraus;<br />
sukzessive wurden weite Teile von Wäldern entblößt und einer Nutzung als<br />
Ackerfläche oder Viehweide zugeführt. Hinzu kommt die Ausdehnung der Besiedlung<br />
in die Marginalgebiete der Mittelgebirge mit ihren oft dünnen Bodenauflagen<br />
und steileren Hängen. Dennoch blieb die Erosionsrate etwa den urgeschichtlichen<br />
Werten treu, d. h., es ist zwar eine ständige, durch entsprechende Ereignisse stellenweise<br />
auch stärkere, aber keine massive Abtragung, von einzelnen Standorten<br />
sicher abgesehen, festzustellen. Nicht zuletzt waren die Dreifelderwirtschaft mit<br />
ihrem Brachejahr sowie der überwiegende Anbau von Getreide mit einer guten<br />
10 Gringmuth-Dallmer (Naturrisiko, S. 107) selbst schreibt: “Die Auslaugung der ohnehin kargen<br />
Böden und die Bodenerosion zwangen die Bewohner zu Gegenmaßnahmen, konkret zur Anlage des<br />
frühesten in Nordostdeutschland nachgewiesenen Auftragbodens. Welche Bedeutung dieser Versuch<br />
auch psychologisch gehabt haben muss, zeigt die Verbindung seiner Anlage mit kultischen Praktika.“<br />
11 Bork, H.-R. et al. (1998): Landschaftsentwicklung in Mitteleuropa. Wirkungen des Menschen auf<br />
Landschaften, Klett-Perthes: Gotha / Stuttgart; Bork, H.-R. (2006): Landschaften der Erde unter<br />
dem Einfluss des Menschen, Wissenschaftliche Buchgesellschaft : Darmstadt.