Katastrophen machen Geschichte - oapen
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Reinhard Bodner<br />
te. Zumindest teilweise dürfte die <strong>Katastrophen</strong>wahrnehmung außerdem durch<br />
den Eindruck von „Parallelen“ zu anderen Extremereignissen intensiviert worden<br />
sein. Insbesondere ist hier das Grubenunglück von Lassing in der Obersteiermark<br />
zu nennen, das ein Jahr zuvor zum Tod von zehn Menschen und zur Zerstörung<br />
mehrerer Häuser geführt hatte. Indem der Bergbau in Schwaz, wie zuvor in Lassing,<br />
als „Raubbau“ in die Kritik geriet, ist ein weiteres Kriterium der <strong>Katastrophen</strong>wahrnehmung<br />
angesprochen: das Streben nach Gewissheit, was die Ursachen<br />
und den Sinn der Ereignisse betrifft.<br />
4.1 Bergbau als „Raubbau“ und die „Rache der Natur“<br />
Der Wunsch nach schlüssigen Erklärungen, was die Entstehung der Felsstürze und<br />
mögliche Handlungsalternativen zu ihrer Bewältigung betrifft, ist zumal deshalb<br />
von Bedeutung, weil in der Anfangsphase der Ereignisse öfters ein Eindruck der<br />
Machtlosigkeit überwog: „Wir können dem Berg nur zuschauen“ 46, artikulierte ein<br />
Sprecher der Evakuierten das Gefühl, „klein und hilflos […] vor solcher Naturgewalt“<br />
47 zu sein. Damit korrespondiert ein Bild des Bergs als „Lebewesen“ mit<br />
menschlich-leiblichen Zügen, das „Felsgrüße ins Tal“ 48 schickt und die sorglose<br />
Annahme der Anrainer Lügen straft, in einem geschützten Raum zu leben. Der<br />
Schrofen „arbeitet“ und „kommt“ 49, hieß es in Presseberichten, es sei erschreckend,<br />
„wie aktiv“ er sich verhalte, er „beruhige“ sich nicht und werde von Tag zu<br />
Tag „noch bedrohlicher“ 50. Gelegentlich äußerte sich die „Angst vor dem Berg“ 51<br />
auch in Aufrufen zu einer Rückbesinnung auf den „lieben Gott“ 52: Frühere Generationen<br />
hätten als Ausdruck der „bildhaften Sorgen um den Eiblschrofen“ Kapellen<br />
errichtet, heißt es in einem Leserbrief an eine regionale Tageszeitung, „recht<br />
eindrucksvoll wurde Gottes Beistand erfleht, der vielleicht auch heute noch seine<br />
Berechtigung finden kann.“ 53<br />
Aber auch dann, wenn das anthropomorphe Bild einer „bösen Natur“ 54 und<br />
der Glaube an göttliche Einflüsse auf ein Eigenleben des Bergs hinzudeuten scheinen,<br />
konnten sich die Übergänge zu einem schwächeren Bild der Natur als fließend<br />
erweisen: Im selben Atemzug mit einem Erschrecken über die „Kräfte“, die sich<br />
vom Eiblschrofen „herabgestürzt“ und den Rückzug der Zivilisation erzwungen<br />
hätten, war oft auch schon von einem „von Menschenhand durchlöcherten Fels“ 55<br />
46 Salzburger Nachrichten (Salzburg), 19.07.1999.<br />
47 Kircher-Liner, S. (2008): Schrofenharfe, Selbstverlag Kircher-Liner: Schwaz, ohne Paginierung.<br />
48 Tiroler Tageszeitung (Innsbruck), 20.06.2000.<br />
49 Die Presse (Wien), 17.07.1999 und 19.07.1999.<br />
50 Tiroler Tageszeitung (Innsbruck), 12.07.1999; Vorarlberger Nachrichten (Bregenz), 19.07.1999.<br />
51 Vorarlberger Nachrichten (Bregenz), 19.07.1999.<br />
52„Der liebe Gott wird uns schon helfen“, titelte Die Presse (Wien) am 15.07.1999.<br />
53 Tiroler Tageszeitung (Innsbruck), 30.07.1999.<br />
54 Kleine Zeitung (Graz), 15.07.1999.<br />
55 Kircher-Liner: Schrofenharfe, ohne Paginierung.