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Katastrophen machen Geschichte - oapen

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Christof Mauch<br />

materieller Wiederaufbau, soziale und psychologische Rekonvaleszenz und<br />

finanzielle Kompensation, etwa durch Versicherungen. In der Tageszeitung von<br />

New Orleans, The Times-Picayune, war und ist noch mehrere Jahre nach der<br />

Katastrophe regelmäßig von Katrina die Rede. Mit anderen Worten: Nicht nur<br />

<strong>Katastrophen</strong> haben ihr Epizentrum, auch die <strong>Katastrophen</strong>erinnerung verfügt<br />

über Epizentrum und Peripherie.<br />

Phänomene wie <strong>Katastrophen</strong>verdrängung und <strong>Katastrophen</strong>optimismus<br />

lassen sich allerdings nicht durch einen simplen Zusammenhang von Erinnerung,<br />

Überlieferung und Vergessen erklären. <strong>Katastrophen</strong>gedächtnis und<br />

<strong>Katastrophen</strong>gedenken finden in einem gesellschaftlich generierten,<br />

erinnerungspolitischen Bedeutungszusammenhang statt. Sie entstehen nicht,<br />

vielmehr werden sie erzeugt. In Galveston und Johnstown, in San Francisco und in<br />

Chicago, wurde jeweils die Erinnerung an die <strong>Katastrophen</strong> im Interesse einer –<br />

nicht zuletzt wirtschaftspolitisch motivierten - back-to-normalcy-Haltung<br />

verdrängt. <strong>Katastrophen</strong>optimismus ist das Resultat einer um-funktionalisierten<br />

Erinnerung an ein Desaster.<br />

Wie aber kommt es, dass wir heute – oft entgegen der erinnerungspolitischen<br />

Verdrängungsbemühungen von Zeitgenossen - manche Desaster kollektiv<br />

erinnern, andere aber nicht? Wie kommt es, dass etwa das Erdbeben von San<br />

Francisco kollektiv erinnert wird – entgegen der zeitgenössischen<br />

Uminterpretation: als Erdbeben und nicht als Feuer? Warum wurde das Erdbeben<br />

von Lissabon zum Topos, während der Hurrikan von Galveston vergessen ist?<br />

Antworten auf solche Fragen müssen vorläufig und zu einem gewissen Grad auch<br />

spekulativ sein. Ein zentraler Faktor für die Evokation von Erinnerungen ist ohne<br />

Zweifel die <strong>Katastrophen</strong>iteration: die anhaltende Bewegung der Sankt-Andreas-<br />

Verwerfung in der Nähe von San Francisco hält die <strong>Katastrophen</strong>erinnerung<br />

wach. Nicht nur Kultur, sondern auch Natur, nicht nur Erinnerungspolitik,<br />

sondern auch die Geologie der Westküste ist in diesem Zusammenhang relevant.<br />

Ein weiterer Faktor liegt in der ikonischen Qualität der Erinnerung. Die<br />

Verwüstung von San Francisco gehört zu den ersten, von professionellen<br />

Fotografen festgehaltenen <strong>Katastrophen</strong>folgen. Mit dem Pool an Fotografien und<br />

eindrucksvollen Zeitzeugnissen, die im „Speichergedächtnis“, das heißt in den auf<br />

Speichermedien vorliegenden Manifestationen des Erdebebens lagern, ist die<br />

Katastrophe in ihrer Visualität und Drastik immer wieder reproduzierbar. Vor<br />

diesem Hintergrund wird auch verstehbar, warum die Wiedererinnerung 2008 an<br />

den Hurrikan in Galveston von 1900 im Vergleich zur Wiedererinnerung an San<br />

Francisco so kurzlebig war. Als die Küste vor Galveston 2008 abermals von einem<br />

schweren Hurrikan bedroht war, wurde das Naturereignis für einige Stunden zum<br />

Thema Nummer eins im US-Präsidentschaftswahlkampf. Da jedoch im<br />

Speichergedächtnis von Galveston Bilder und einprägsame Zeugnisse fehlten,<br />

konnte die Katastrophe bildlich nicht evoziert werden und dadurch leichter in<br />

Vergessenheit geraten.

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