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Katastrophen machen Geschichte - oapen

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128<br />

5 Fazit<br />

Carsten Stühring<br />

Die Menschen im Kurfürstentum Bayern griffen im 18. Jahrhundert vielfach auf<br />

religiöse Deutungsangebote zurück, mit denen sie Rinderseuchen zu bewältigen<br />

suchten. Geistliche vertraten die Auffassung, Gott bestrafe die sündhaften Menschen<br />

mit Rinderseuchen. Nur durch Gebete und Bittprozessionen konnte demnach<br />

der zürnende Gott besänftigt werden. Außerdem unterstützten sie das bayerische<br />

Wallfahrtswesen, welches auf dem Glauben an göttliche Wunder basierte.<br />

Ein barmherziger Gott sorgte nach der Meinung der Geistlichkeit dafür, dass die<br />

Gläubigen von Rinder- und anderen Viehseuchen befreit wurden. Ähnlich dachten<br />

die frommen Tierhalter, die auf Wallfahrt gingen und zahlreiche Votivgaben<br />

spendeten. Außerdem halfen ihnen Prozessionen, Rinderseuchen zu bewältigen.<br />

Die Tiermediziner verhielten sich demgegenüber in religiösen Fragen zurückhaltender.<br />

Dennoch verwiesen auch sie auf den göttlichen Ursprung der Seuchen,<br />

der jedoch in den Viehseuchenschriften um natürliche Ursachenzuschreibungen<br />

ergänzt wurde. Die Tiermediziner verbanden natürliche Prozesse mit göttlichem<br />

Wirken und wiesen somit der Natur eine wichtige Funktion in der Entstehung<br />

und Bekämpfung von Rinderseuchen zu. Analog verhielten sich die kurbayerischen<br />

Beamten, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts sogar weitergingen und die<br />

Wirkmächtigkeit von Prozessionen nicht mehr anerkannten. Zeitgleich hielten<br />

viele Tierhalter an überkommenen Praktiken wie Wallfahrten und Kreuzgängen<br />

fest. Der Umgang mit Rinderseuchen differenzierte sich seitdem zusehends in<br />

eine säkular-obrigkeitliche und eine religiös-untertänige Ebene. 41<br />

Literatur<br />

Abel, W. (1967): Deutsche Agrargeschichte. <strong>Geschichte</strong> der deutschen<br />

Landwirtschaft vom frühen Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert, Ulmer:<br />

Stuttgart 2.<br />

Andresen, C. / Denzler, G. (1997): Wörterbuch Kirchengeschichte, dtv:<br />

München 5.<br />

Angenendt, A. (2002): Das Wunder – religionsgeschichtlich und christlich. In:<br />

Bauer, D. / Heinzelmann, M. / Herbers, K. (Hg.): Mirakel im Mittelalter.<br />

Konzeptionen – Erscheinungsformen – Deutungen, Steiner: Stuttgart, S. 95-<br />

113.<br />

Bauer, T. (2003): Leonhard von Noblac. In: Steimer, B. / Wetzstein, T.: Lexikon<br />

der Heiligen und der Heiligenverehrung. Band 2. Personenteil I-Q, Herder:<br />

Freiburg / Basel / Wien, Sp. 944-946.<br />

41 Unter anderem diese Differenz kulminierte im 19. Jahrhundert in der Unterscheidung zwischen<br />

einer „höheren“ und einer „niederen“ Kultur, vgl. Habermas: Wallfahrt, S. 130.

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