Katastrophen machen Geschichte - oapen
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5 Fazit<br />
Carsten Stühring<br />
Die Menschen im Kurfürstentum Bayern griffen im 18. Jahrhundert vielfach auf<br />
religiöse Deutungsangebote zurück, mit denen sie Rinderseuchen zu bewältigen<br />
suchten. Geistliche vertraten die Auffassung, Gott bestrafe die sündhaften Menschen<br />
mit Rinderseuchen. Nur durch Gebete und Bittprozessionen konnte demnach<br />
der zürnende Gott besänftigt werden. Außerdem unterstützten sie das bayerische<br />
Wallfahrtswesen, welches auf dem Glauben an göttliche Wunder basierte.<br />
Ein barmherziger Gott sorgte nach der Meinung der Geistlichkeit dafür, dass die<br />
Gläubigen von Rinder- und anderen Viehseuchen befreit wurden. Ähnlich dachten<br />
die frommen Tierhalter, die auf Wallfahrt gingen und zahlreiche Votivgaben<br />
spendeten. Außerdem halfen ihnen Prozessionen, Rinderseuchen zu bewältigen.<br />
Die Tiermediziner verhielten sich demgegenüber in religiösen Fragen zurückhaltender.<br />
Dennoch verwiesen auch sie auf den göttlichen Ursprung der Seuchen,<br />
der jedoch in den Viehseuchenschriften um natürliche Ursachenzuschreibungen<br />
ergänzt wurde. Die Tiermediziner verbanden natürliche Prozesse mit göttlichem<br />
Wirken und wiesen somit der Natur eine wichtige Funktion in der Entstehung<br />
und Bekämpfung von Rinderseuchen zu. Analog verhielten sich die kurbayerischen<br />
Beamten, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts sogar weitergingen und die<br />
Wirkmächtigkeit von Prozessionen nicht mehr anerkannten. Zeitgleich hielten<br />
viele Tierhalter an überkommenen Praktiken wie Wallfahrten und Kreuzgängen<br />
fest. Der Umgang mit Rinderseuchen differenzierte sich seitdem zusehends in<br />
eine säkular-obrigkeitliche und eine religiös-untertänige Ebene. 41<br />
Literatur<br />
Abel, W. (1967): Deutsche Agrargeschichte. <strong>Geschichte</strong> der deutschen<br />
Landwirtschaft vom frühen Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert, Ulmer:<br />
Stuttgart 2.<br />
Andresen, C. / Denzler, G. (1997): Wörterbuch Kirchengeschichte, dtv:<br />
München 5.<br />
Angenendt, A. (2002): Das Wunder – religionsgeschichtlich und christlich. In:<br />
Bauer, D. / Heinzelmann, M. / Herbers, K. (Hg.): Mirakel im Mittelalter.<br />
Konzeptionen – Erscheinungsformen – Deutungen, Steiner: Stuttgart, S. 95-<br />
113.<br />
Bauer, T. (2003): Leonhard von Noblac. In: Steimer, B. / Wetzstein, T.: Lexikon<br />
der Heiligen und der Heiligenverehrung. Band 2. Personenteil I-Q, Herder:<br />
Freiburg / Basel / Wien, Sp. 944-946.<br />
41 Unter anderem diese Differenz kulminierte im 19. Jahrhundert in der Unterscheidung zwischen<br />
einer „höheren“ und einer „niederen“ Kultur, vgl. Habermas: Wallfahrt, S. 130.