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Katastrophen machen Geschichte - oapen

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Bernd Herrmann & Jana Sprenger<br />

weis, dass er schon vor über 20 Jahren einen auf Dauer wirksamen Bekämpfungsvorschlag<br />

gemacht habe, den man seitdem nicht recht beherzigt hätte. Die Schrift<br />

hatte, vor ihrer endlichen Veröffentlichung, bereits 1750 der Königl. Akademie<br />

vorgelegen. Herr Gleditsch würde sich vermutlich wundern, dass Expertenrat bis<br />

auf den heutigen Tag nur langsam umgesetzt wird.<br />

Die Frage, um wie viel höher seinerzeit die Schäden ausgefallen wären, wenn<br />

man nicht einmal in dem tatsächlichen Umfange gehandelt hätte, erübrigt sich als<br />

kontrafaktisch. Gleichwohl wäre ihre Beantwortung die Nagelprobe.<br />

Ob dies nun insgesamt eine Fortschritts- oder Verlustgeschichte ist, entscheiden<br />

Bewertungsmaßstäbe in den jeweiligen Diskursen:<br />

Kein aufgeklärter Mitteleuropäer wird heute diese Frage in straftheologischer Hinsicht<br />

diskutieren wollen. Krünitz war aufgeklärter Autor genug, dennoch „gedenkt<br />

er des Themas auch als Christ“ und kam dabei zu der Einsicht, dass die Heuschrecken<br />

in dieser Logik durchaus eine pädagogische Mission erfüllt hätten. 66 Wer auf<br />

dieser Ebene weiterdenken möchte, landet angesichts fehlender Heuschrecken<br />

notwendig bei der Einsicht, dass es heute weniger zu Ermahnen, weniger zu Strafen<br />

gäbe. Hier lässt sich die Gewinn-Verlust-Rechnung nicht weiterführen, ohne<br />

den Raum der rational-logisch begründbaren Empirie zu verlassen (abgesehen<br />

davon, dass man eigentlich ein von Heuschrecken überquellendes Europa erwarten<br />

würde). Erreicht ist vielmehr die Ebene der Gottesbeweise, 67 die Ebene des Glaubens,<br />

nicht diejenige der Wissenschaft.<br />

Nachweise der Europäischen Wanderheuschrecke in Deutschland sind aus den<br />

letzten Jahrzehnten kaum noch bekannt, 68 wohl vor allem auch deshalb, weil ein<br />

kontinuierlicher Brutbestand letztlich auf permanenten Zuzug aus den primären<br />

Brutgebieten angewiesen wäre. Brandenburg hat Locusta migratoria in seiner Roten<br />

Liste der Heuschrecken zur Zeit nicht eingeordnet, in Berlin gilt sie als „nicht<br />

etabliert bzw. nicht im Freiland etabliert“, in Mecklenburg-Vorpommern gab es in<br />

den vergangenen Jahrzehnten nur Einzelnachweise, in Sachsen-Anhalt wurde sie<br />

in die Rote Liste nicht aufgenommen, weil sie nicht (mehr) als Brutbestand gilt,<br />

in Baden-Württemberg (ehem. sekundäres Brutgebiet) existiert keine für die Einordnung<br />

brauchbare Datenlage, Bayern führt sie als „verschollen bzw. ausgestorben“.<br />

Dieselbe Bewertung vertritt zur Zeit auch der NABU, offenbar für Gesamtdeutschland.<br />

Wer hingegen anstelle der Biodiversitätsaspekte seine Betrachtung auf die ökonomische<br />

Inwertsetzung der Natur, die Steigerung und die Sicherung der Agrarproduktion<br />

legt, wird die Wanderheuschrecke nicht vermissen: „damit hätte dann<br />

die Menschheit in harter jahrhundertelanger Arbeit einen ihrer gefährlichsten Fein-<br />

66 Krünitz, Lemma „Heuschrecke“, S. 482 ff.<br />

67 mit Blick auf den <strong>Katastrophen</strong>diskurs ergiebig ist Schmidt 1999, S. 43 ff. („Wolken krachen, Berge<br />

zittern, und die ganze Erde weint…“ Zur kulturellen Vermittlung von Naturkatastrophen in<br />

Deutschland 1755 bis 1855, Waxmann: Münster u. a.).<br />

68 http://www.dgfo-articulata.de/de/Arten/Locusta_migratoria.php (26.5.2009)

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