Katastrophen machen Geschichte - oapen
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Patrick Masius, Jana Sprenger & Eva Mackowiak<br />
sein lassen“ folgend, wurde der Zerstörung ausgedehnter Fichtenmonokulturen<br />
kein Einhalt geboten. Benachbarte Waldbesitzer, die um ihre eigenen Bestände<br />
fürchteten, protestierten gegen den katastrophalen Kahlfraß.<br />
Im frühneuzeitlichen Preußen zeigte sich demgegenüber noch kein Zweifel an<br />
dem unerwünschten Charakter einer Schädlingskalamität. So sah die Ackerbau<br />
betreibende Bevölkerung in Heuschreckenschwärmen, die ganze Ernten in kürzester<br />
Zeit vernichteten, eindeutig eine Katastrophe. 16 Die Bekämpfung von Schädlingen<br />
kann in Zusammenhang mit den Sicherheitsversprechen des frühneuzeitlichen<br />
Fürstenstaates gesehen werden und integrierte sich damit auch in eine ökonomische<br />
Perspektive. 17 Die tatsächliche Rolle des Staates beschränkte sich meist<br />
auf die Gesetzgebung. Die praktische Bekämpfung musste in der Regel von der<br />
Bevölkerung unter Aufsicht der Obrigkeit geleistet werden. Nur begrenzt trat der<br />
Staat auch als „Retter in der Not“ durch finanzielle Unterstützungen auf.<br />
Heuschrecken oder Wölfe wirkten nicht nur durch die materielle Gefährdung<br />
menschlicher Lebensgrundlagen als Schädlinge, sondern auch durch ihre symbolische<br />
Macht. So lassen sich Heuschreckenplagen bis in biblische Zeiten zurückverfolgen<br />
und stehen auch für göttlichen Zorn. 18 Die Furcht vor Wölfen und ihrem<br />
unheimlichen Heulen ist bis heute nicht frei von mythischen Dimensionen. 19<br />
Wenn auch die Bekämpfung von Agrarschädlingen in den Industrieländern heute<br />
nur noch moralisch-ökologische Diskussionen statt existenzieller Fragen auslöst,<br />
bleibt die Schädlingsthematik in globaler Betrachtung noch immer ein aktuelles<br />
Problem.<br />
Im „Medienzeitalter“ sind Naturkatastrophen, ob real oder fiktional, prominente<br />
Ereignisse. Im Fokus des Interesses stehen die Fatalität von <strong>Katastrophen</strong><br />
und die Möglichkeiten ihrer Mitigation. Die von der UNO ausgerufene „International<br />
Decade for Natural Disaster Reduction“ (1990-2000) stellt den politischen<br />
Höhepunkt des Versuches dar, Strategien zu entwickeln, um menschliche Opfer<br />
von <strong>Katastrophen</strong> zu vermeiden und Schäden zu minimieren. 20<br />
Unser heutiges Bild der Katastrophe als Untergangsszenario ist durch die historische<br />
Entwicklung geprägt. In der deutschen Verwendung des Wortes seit etwa<br />
1600 bemerkt Dombrowsky einen engen Bezug zu göttlicher Kraft und apokalyp-<br />
16 Herrmann, B. (2006): Zur Historisierung der Schädlingsbekämpfung. In: Meyer, T. / Popplow, M.<br />
(Hg): Technik, Arbeit und Umwelt in der <strong>Geschichte</strong>. Günter Bayerl zum 60. Geburtstag, Waxmann:<br />
Münster u. a., S. 322.<br />
17 Meyer, T. (1999): Natur, Technik und Wirtschaftswachstum im 18. Jahrhundert. Risikoperzeptionen<br />
und Sicherheitsversprechen (Cottbuser Studien zur <strong>Geschichte</strong> von Technik, Arbeit und Umwelt;<br />
12.), Waxmann: Münster u. a.: z.B. S. 124 f.<br />
18 Rohr, C. (2009): „Sie seind krochen wie ain kriegsordnung.“ Heuschreckenplagen im Land Tirol im<br />
Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit. In: Tiroler Heimatblätter 84, S. 20.<br />
19 Herrmann, B. (2007): Ein Beitrag zur Kenntnis von Schädlingsbekämpfungen und ihren Konzepten<br />
im 18. und frühen 19. Jahrhundert an Beispielen aus Brandenburg-Preußen. In: Engelken, K. /<br />
Hünniger, D. / Windelen, S. (Hg.): Beten, Impfen, Sammeln – Zur Viehseuchen- und Schädlingsbekämpfung<br />
in der Frühen Neuzeit, Universitätsverlag Göttingen, S. 135-189.<br />
20 Dikau / Weichselgartner: Planet: S. 15.