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Katastrophen machen Geschichte - oapen

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Phönix und Mnemosyne<br />

Initiative scheiterte jedoch, hier wie andernorts, notorisch an der Baubranche.<br />

„You don’t design for earthquakes that occur every 2,000 years – it’s not<br />

reasonable“, lautete das Verdikt James Baileys, eines Ingenieurs, der mit seinen<br />

Gutachten die Bauindustrie vertrat (zitiert in Steinberg 2006, S. 42). Die Sorge,<br />

dass ein höheres Risiko die Versicherungsprämien und Baupreise in die Höhe<br />

drücken und die Profitmarge reduzieren könnte, erwies sich als eine wirksame<br />

Kraft in der Verdrängung von <strong>Katastrophen</strong>. In San Francisco spielte eine<br />

selektive Erinnerungspolitik denjenigen in die Hände, denen daran gelegen war,<br />

schnellstmöglich zum „business as usual“ überzugehen.<br />

<strong>Katastrophen</strong>verdrängung und Fortschrittsdenken hängen aufs Engste<br />

miteinander zusammen. In San Francisco war die Verdrängung Resultat eines<br />

Komplotts – einer Verschwörung des Schweigens von Grundbesitzern und<br />

Investoren. Zugleich fungierte sie als Voraussetzung für die positive Umdeutung<br />

des Desasters. Zum säkularen Kerygma von der Überwindbarkeit der Katastrophe<br />

gehörte das Credo von der Singularität und Auserwähltheit. Eine der regionalen<br />

Tageszeitungen, das San Francisco Bulletin, stellte das Beben in einen größeren<br />

Zusammenhang und verglich es mit <strong>Katastrophen</strong> in anderen Regionen der USA.<br />

Selbst wenn man jedes zweite Jahr oder womöglich jedes Jahr ein Erdbeben in San<br />

Francisco zu verzeichnen hätte, gäbe es keinen Grund, so hieß es, sich mehr<br />

Gedanken darüber zu <strong>machen</strong>, als die Leute in Kansas sich über Wirbelstürme<br />

(cyclones) sorgten. Nur weil das Erdbeben „einmalig“ gewesen sei, weil man zuvor<br />

nichts Vergleichbares in Kalifornien erlebt habe, redeten die Leute darüber, „as if<br />

it were far more terrible than flood or pestilence, fire, wind or sun“ (zitiert in<br />

Steinberg 2006, S. 32). Derartige historische Vergleiche dienten der Relativierung<br />

der Katastrophe.<br />

4 Phönix aus der Asche – <strong>Katastrophen</strong>optimismus und<br />

Machbarkeitscredo<br />

Interessanterweise war es den Amerikanern schon in der Kolonialzeit und über<br />

mehrere Jahrhunderte hinweg gelungen, Naturkatastrophen unter Rückgriff auf ein<br />

Exzeptionalismus-Interpretament positiv umzudeuten. Der puritanische Theologe<br />

Increase Mather beispielsweise, der sich mehr als alle anderen Amerikaner des 17.<br />

und 18. Jahrhunderts mit Naturkatastrophen und der Theodizee-Frage<br />

auseinandergesetzt hat, sah in der Entsendung von Naturkatastrophen sogar ein<br />

Zeichen der Auserwähltheit (Mather 1856 und Hall 1962). „[O]ther nations”,<br />

erklärte Mather in einer veröffentlichten Predigt, „may sin and do wickedly, and<br />

God doth not punish them, untill they have filled up the Measure of their sins, and<br />

then he utterly destroyeth them; but if our Nation forsake the God of their Fathers<br />

ever so little, God presently cometh upon us with one Judgement or other, that so<br />

he may prevent our destruction.” (Mather 1986, S. 29) Mit dieser Interpretation<br />

hatte Mather eine verblüffende Erklärung parat, die den Stürmen und<br />

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