Katastrophen machen Geschichte - oapen
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5 Risikokulturen – Roulettespiel mit der Natur<br />
Christof Mauch<br />
Es ist kein Zufall, dass die Regierung in der Folge von Hurrikan Katrina mehr<br />
Militärs für zivile Zwecke eingesetzt hat als je zuvor in ihrer <strong>Geschichte</strong>. Da<br />
wichtige Grundregeln zur Prävention der Verheerung missachtet worden waren,<br />
wurden in der Folge der Katastrophe umso größere Anstrengungen zu deren<br />
Bewältigung nötig. Nicht weniger als 30 000 Soldaten aus dem aktiven Dienst und<br />
aus der Nationalgarde wurden 2005 zum Einsatz nach New Orleans entsandt. Zur<br />
Ausweitung der Regierungsmacht haben weiterhin zahlreiche <strong>Katastrophen</strong>gesetze<br />
beigetragen sowie der Aufbau und Ausbau des 1979 von US-Präsident Jimmy<br />
Carter gegründeten, gigantischen Bundeskatastrophenamtes FEMA (Federal<br />
Emergency Management Agency). Allerdings ist in neuerer Zeit nicht nur die<br />
Macht eines sich um die „Ordnung der Natur“ kümmernden Staates stärker<br />
geworden; vielmehr hat auch die private Wirtschaft ihren Einsatz erhöht.<br />
Tatsächlich trug das staatliche <strong>Katastrophen</strong>management nicht nur zur Dämpfung<br />
des potenziellen <strong>Katastrophen</strong>risikos bei, sondern erhöhte paradoxerweise auch<br />
die Risikobereitschaft privater Investoren. Die Kombination von technologischem<br />
Fortschritt in der Vorhersage und Prävention von <strong>Katastrophen</strong> einerseits, und<br />
staatlich gefördertem Machbarkeitsoptimismus, wie er sich in der Zahlung<br />
großzügiger Kompensationen ausdrückt, andererseits, hat dazu geführt, dass sich<br />
neue Formen des risk-taking breit gemacht haben. Wie anders lässt sich sonst<br />
erklären, dass mehr als 50 Millionen Menschen ihren ständigen Wohnsitz in den<br />
Küstengebieten im Süden und Osten der USA eingenommen haben, wo sie der<br />
destruktiven Kraft von Hurrikanen ausgeliefert sind? Wie sonst ist verstehbar, dass<br />
der Bundesstaat mit dem höchsten Hurrikanrisiko auch den höchsten<br />
Bevölkerungszuwachs zu verzeichnen hat? Im Laufe des 20. Jahrhunderts hat die<br />
Entwicklung moderner Wettersatelliten, im Zusammenspiel mit dem relativ<br />
zuverlässigen Frühwarnsystem des National Hurricane Center, das Risiko für Leib<br />
und Leben in allen Teilen der Vereinigten Staaten dramatisch reduziert. Verluste,<br />
so lautet die Devise vieler US-Bewohner, die in von Naturkatastrophen<br />
heimgesuchten Regionen leben, lassen sich zwar nicht vermeiden, aber man kann<br />
sich gegen sie versichern. Beispiele dafür, dass Risiken bewusst in Kauf genommen<br />
werden – sei es in den Erdbebenzonen von Kalifornien oder entlang der<br />
Südostküste der USA – sind Legion. Im Kalkül der Gefährdeten werden<br />
Naturkatastrophen auf der materiellen Ebene mit Reparatur- oder<br />
Wiederaufbaumaßnahmen identifiziert. Ohnehin ist nicht jede Naturkatastrophe<br />
ein Desaster; und für einige Betroffene macht sich das Spiel mit Zerstörung und<br />
Wiederaufbau sogar finanziell bezahlt. So berichtete die New York Times etwa von<br />
einem Hausbesitzer in Texas, der zwischen 1989 und 1995 über 800 000 Dollar für<br />
den Wiederaufbau seines mehrfach überfluteten Hauses erhalten habe - mehr als<br />
sieben Mal soviel wie der eigentliche Wert seiner Liegenschaft. Menschen und<br />
Investoren zieht es, so lässt sich resümieren, im 21. Jahrhundert mehr als je zuvor