17.11.2012 Aufrufe

Katastrophen machen Geschichte - oapen

Katastrophen machen Geschichte - oapen

Katastrophen machen Geschichte - oapen

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Phönix und Mnemosyne<br />

funkensprühenden Feuermeteor im Weltall –, sondern es ist vor allem das<br />

optimistische Narrativ von Wiederaufbau und Bauboom. Damit wird die in der<br />

Katastrophe freigesetzte Gewalt der Natur zum Katalysator des Fortschritts,<br />

Chicago zum amerikanischen Phönix aus der Asche, zur weißen Stadt aus Stahl<br />

und Gips, die nach 1871 schneller und höher wachsen sollte als alle anderen Städte<br />

in der Neuen Welt und 1893 zum Gastgeber einer glanzvollen Weltausstellung<br />

wurde.<br />

Mathers frühneuzeitliche Interpretation der Katastrophe als göttliches<br />

Heilszeichen, die Katalysatorfunktion des Großen Feuers von Chicago und Solnits<br />

Paradigma vom „Paradise in Hell“ basieren allesamt auf einer Art „Phönix-<br />

Narrativ“: Natur und Kultur gelten nicht als Gegensätze, sondern als dialektisch<br />

aufeinander bezogene Kräfte des Fortschritts. <strong>Katastrophen</strong> mögen destruktiv<br />

sein; aber sie enthalten zugleich ein Erlösungsversprechen. Die Katastrophe und<br />

ihre (positive Veränderungen hervorbringende) Überwindung fallen im Phänomen<br />

des <strong>Katastrophen</strong>optimismus in eins.<br />

<strong>Katastrophen</strong>optimismus hat nichts mit einem Herbeiwünschen von<br />

<strong>Katastrophen</strong> zu tun. Vielmehr entspringt der <strong>Katastrophen</strong>optimismus dem<br />

Wunsch, dem Desaster im Nachhinein noch etwas Positives abzugewinnen. Ob<br />

der optimistischen Ex-eventu-Interpretation von <strong>Katastrophen</strong> auch eine höhere<br />

Risikobereitschaft im Vorfeld der Katastrophe entspricht, sei dahingestellt. Bislang<br />

liegen keine vergleichenden Untersuchungen zu Europa und Nordamerika vor.<br />

Vieles spricht jedoch dafür, dass die nordamerikanischen Präventionsmaßnahmen<br />

hinter den europäischen zurückgeblieben sind, und dass das Risikobewusstsein<br />

etwa in den Niederlanden weit stärker ausgeprägt ist als in Louisiana, wo Hurrikan<br />

Katrina 2005 enormen Schaden angerichtet hat – und dies, obwohl die<br />

amerikanische Katastrophe mit verblüffend hoher Exaktheit vorhergesagt worden<br />

war. Im Jahr 2001 hatte die Zeitschrift Scientific American prophezeit, dass ein<br />

„big, slow-moving hurricane” New Orleans 20 Fuss unter Wasser setzen<br />

werde. Die Soziologieprofessorin Shirly Laska von der Universität New Orleans<br />

wies, nachdem Hurrikan George (1998) und Hurrikan Ivan (2004) New Orleans<br />

nur knapp verfehlt hatten, darauf hin, dass 120 000 Einwohner der Stadt nicht<br />

über ein Auto verfügten: Ein Drittel von ihnen wäre gestorben, erklärte sie, wenn<br />

Hurrikan Ivan die Stadt getroffen hätte. Und der Direktor des Nationalen<br />

Hurrikanzentrums erklärte noch im Mai 2005, dass sich seine Sorge angesichts des<br />

komplexen Dammsystems in erster Linie auf die Gegend um New Orleans richte.<br />

Anders als etwa in den Niederlanden oder der Schweiz hatten die Amerikaner das<br />

wahrscheinliche Auftreten einer großen Naturkatastrophe, überspitzt formuliert,<br />

billigend in Kauf genommen.<br />

143

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!