Katastrophen machen Geschichte - oapen
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Naturkatastrophen in der <strong>Geschichte</strong><br />
4 Göttliche Natur und Naturpolitik<br />
Wie erklärt sich nun das widersprüchliche Nebeneinander von Ohnmachtsbekenntnissen<br />
und Machbarkeitsansprüchen?<br />
Im Mittelalter und der Frühen Neuzeit hatte die Kirche einen wesentlich bedeutenderen<br />
Einfluss als seit der Aufklärung. Ihre Intention im Umgang mit Naturkatastrophen<br />
lag darin, in dem Naturereignis den Beweis von Gottes Kraft zu<br />
finden (ex post). Dadurch wurde zum einen das Vertrauen in Gottes Existenz<br />
gestärkt, zum anderen – und dies ist entscheidend – der moralische Konsens der<br />
christlichen Religion. Mary Douglas hat in ihren Arbeiten herausgestellt, welche<br />
Bedeutung der Umgang mit Gefahren für soziale Grenzen und damit für sozialen<br />
Zusammenhalt hat. 38<br />
Die Kirche als Vertreter Gottes auf Erden wurde vor diesem Hintergrund zu<br />
einer mächtigen Institution. Denn erst durch sie konnte Gottes Wille auf Erden in<br />
Rückgriff auf die heilige Schrift richtig gedeutet werden. Die Kirche hegte also ein<br />
starkes Interesse daran, die Naturkatastrophe als ‚Strafe Gottes‘ zu interpretieren<br />
(ob eines pädagogischen oder eines zornigen Gottes ist zunächst gleichgültig).<br />
Durch die Verlegung aller Macht über den Menschen in Gottes Hand, wurde die<br />
Kirche zu einem legitimierten Repräsentanten dieser Allmacht. Brisant wurde die<br />
Situation immer dann, wenn Kirche und Priester selbst von einer Naturkatastrophe<br />
betroffen wurden. 39<br />
Daneben existierten aber auch weltliche Herrscher mit ihren Ansprüchen und<br />
Interessen. Jene koinzidierten in dem Punkt, Gottes Allmacht zu zeigen mit den<br />
kirchlichen Interessen, insofern in diesem Fall weltliche Herrscher für das Auftreten<br />
von <strong>Katastrophen</strong> nicht zur Verantwortung gezogen werden konnten. Zur<br />
gleichen Zeit aber gab es ein weltliches (zumeist lokales) Interesse daran, die (eigenen)<br />
Lebensverhältnisse durch Technik zu verbessern. Diese Versuche fielen mit<br />
dem technischen Aufschwung im 13. und 14. Jahrhundert und mit dem Auftreten<br />
von schwerwiegenden <strong>Katastrophen</strong> im gesamten 14. Jahrhundert zusammen. In<br />
den weltlichen Bereichen von Politik und Wissenschaft wurden unabhängig von<br />
religiösen Deutungen Maßnahmen zur Bewältigung ergriffen. Im Falle des Scheiterns<br />
weltlicher Maßnahmen wirkte der mögliche Rückzug auf solche theozentrischen<br />
Deutungen wie eine Art Versicherung. Man baute Deiche und wenn diese<br />
nicht hielten, war es Gottes Wille. Man erließ Pestbriefe und Quarantäneverordnungen<br />
und wenn die Pest trotzdem die Stadt erreichte, war es Gottes Wille gewesen.<br />
Man behandelte kranke Tiere und wenn sie trotzdem starben, war es Gottes<br />
Wille gewesen.<br />
Mit dem zunehmenden Wegfall kirchlicher Autorität seit der Aufklärung überdauerte<br />
die weltliche Position in ihrer Ambivalenz zwischen dem Versuch Verant-<br />
38 Douglas, M. (1966): Purity and Danger, Routledge: New York / London. Douglas, M. (1992), Risk<br />
and Blame, Routledge: New York / London.<br />
39 vgl. Hauer, K. (2009): Der plötzliche Tod. Bergstürze in Salzburg und Plurs kulturhistorisch betrachtet,<br />
LIT-Verlag: Wien / Berlin, S. 114 ff.<br />
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