Katastrophen machen Geschichte - oapen
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Christof Mauch<br />
verdrängung und des <strong>Katastrophen</strong>optimismus hat es in der US-amerikanischen<br />
<strong>Geschichte</strong> gegeben? Woran liegt es, dass manche <strong>Katastrophen</strong> in Vergessenheit<br />
geraten, andere dagegen permanent fortzuleben scheinen?<br />
Dieser Beitrag stellt die These auf, dass einerseits der Typus der Katastrophe,<br />
andererseits ihr historischer Kontext und die politischen und wirtschaftlichen<br />
Interessen der Zeitgenossen einen enormen Einfluss auf die Art und Weise der<br />
Erinnerung an Naturkatastrophen hatten.<br />
2 Ikonische <strong>Katastrophen</strong> – Verwüstete Landschaften als<br />
Erinnerungsräume<br />
Wer eine <strong>Geschichte</strong> Europas schreibt, kommt unbedenklich ohne die Erwähnung<br />
von Lawinenkatastrophen in den Alpen, Überflutungen des Rheins oder<br />
Deichbrüchen an der Nordsee aus. Dagegen gibt es kein etabliertes Lehrbuch der<br />
US-amerikanischen <strong>Geschichte</strong>, das auf die Darstellung der Dust Bowl<br />
Katastrophe der 1930er Jahre verzichtet – jenes gewaltigen Staubsturmdesasters,<br />
das Zehntausende zur Abwanderung aus der Prärie zwang. Aber warum? Im<br />
Vergleich etwa zur Verheerung durch Seuchen, die in den US-amerikanischen<br />
Lehrbüchern notorisch ignoriert werden, war die Zahl der Dust Bowl Opfer relativ<br />
gering. Woher kommt es, dass sich diese Katastrophe dennoch, und offenkundig<br />
unauslöschlich, in die Erinnerung der Amerikaner eintätowiert hat?<br />
Ohne Zweifel hat die natürliche Umwelt in den Narrativen und Mythen der<br />
Amerikaner von Anfang an eine zentrale Rolle gespielt. Kein anderer Kontinent<br />
wurde so spät und so schnell kolonisiert wie der nordamerikanische. Im<br />
historischen Rückblick verdichtet sich der Eindruck von der unerbittlichen<br />
Invasion der europäischen Kolonisatoren, die die Kulturen der Ureinwohner und<br />
die Natur verändert und zum Teil wie mit einer Dampfwalze vernichtet haben. Für<br />
einen Mann wie William Bradford, Passagier der Mayflower und Gouverneur der<br />
Plymouth Colony, war die Neue Welt nicht viel mehr als „a desolate wilderness<br />
[….] full of wild beasts and wild men“. Die Umwandlung der Wildnis in<br />
Zivilisation (für Bradford waren auch die Native Americans Teil der Wildnis), galt<br />
ihm und den Millionen von Siedlern, die sich, zumeist aus Europa kommend, in<br />
Amerika niederließen, als oberstes Ziel und als Messlatte wirtschaftlichen und<br />
zivilisatorischen Erfolgs. Thomas Jeffersons Vision eines „Empire of Liberty“,<br />
dominiert von freien yeoman farmers, die er als „chosen people of God“ – und als<br />
Gegenfiguren zu den Fabrikarbeitern Europas – erachtete, hat sich in den Köpfen<br />
vieler Amerikaner bis weit ins 20. Jahrhundert gehalten. Vor diesem ideologischen<br />
Hintergrund, der das Prozesshafte der amerikanischen <strong>Geschichte</strong>, den Fortschritt<br />
im eigentlichen Wortsinn, zentral setzt, musste die Dust Bowl Katastrophe, die die<br />
Lebensgrundlage von Zehntausenden von Farmern in der Prärie zerstörte,<br />
traumatisch wirken. Sie rüttelte am Credo von der Auserwähltheit der Amerikaner<br />
und der permanenten Fortschreibbarkeit wirtschaftlichen Erfolgs.