Katastrophen machen Geschichte - oapen
Katastrophen machen Geschichte - oapen
Katastrophen machen Geschichte - oapen
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
174<br />
Reinhard Bodner<br />
henden Gefahr eines größeren Bergsturzes zu treffen, sondern darüber hinaus<br />
auch, die traditionsreiche Bergbaugeschichte der Stadt zu beenden. Dieser Wunsch<br />
erfüllte sich insofern, als das Bergwerk 1999 zwar nicht definitiv stillgelegt, aber auf<br />
unbestimmte Zeit geschlossen wurde und bis heute außer Betrieb ist. Dagegen<br />
bestreitet eine kleine, in die Defensive gerate Gruppe von Bergbauanhängern bis<br />
heute, dass es einen „Zusammenhang von oben und unten“ 2 gegeben habe, und<br />
setzt sich für eine Wiedereröffnung des Bergwerks ein.<br />
Mit diesem Konfliktfeld möchte ich mich im Folgenden auf der Grundlage<br />
von Archiv- und Feldforschungen beschäftigen, die Margret Haider und ich seit<br />
2007 im Rahmen eines Forschungsprojekts 3 durchgeführt haben, das sich aus<br />
volkskundlich-kulturwissenschaftlicher Sicht 4 mit der letzten Entwicklungsphase<br />
des Tiroler Bergbaus im 19. und 20. Jahrhundert befasst. Im Unterschied, aber<br />
auch als Ergänzung und Erweiterung zu mehreren natur- und ingenieurwissenschaftlichen<br />
Studien über die Felsstürze galt unser Interesse der kulturellen Bedeutung<br />
des Ereignisses, das für die Menschen vor Ort eine Unterbrechung ihres Alltags<br />
und oft auch eine lebensgeschichtliche Wende mit sich brachte; wobei die<br />
Identifizierung des Bergbaus als Schuldigem einen entscheidenden Anteil an der<br />
gesellschaftlichen Verarbeitung der Felsstürze hatte. Vor diesem Hintergrund wurden<br />
zwei qualitative, leitfadengestützte Interviewserien durchgeführt: Sie galten den<br />
lebensgeschichtlichen Erinnerungen einer Mehrheitsgruppe von Personen, die<br />
aufgrund der Ereignisse für mehrere Monate evakuiert werden mussten, und einer<br />
Minderheitsgruppe von Personen, die bis 1999 im Bergbau beschäftigt waren und<br />
danach ihren Arbeitsplatz verloren. 5 Neben den Transkriptionen dieser Interviews<br />
wurde eine Materialsammlung erstellt, die derzeit etwa 400 Berichte aus der Tages-<br />
und Wochenpresse sowie politische Verlautbarungen, Gutachten, Verwaltungsakten<br />
und Bildmaterial aus öffentlichen und privaten Archiven 6 umfasst.<br />
2 Kleine Zeitung (Graz), 17.07.1999.<br />
3 Es handelt sich um das Teilprojekt 4 („Cultural Tendencies and Dominants in Modern Mining“) des<br />
Spezialforschungsbereichs HiMAT („The History of Mining Activities in the Tyrol and Adjacent<br />
Areas. Impact on Environment and Human Societies“) der Universität Innsbruck.<br />
4 Damit ist die Perspektive der Nachfolgedisziplinen der „alten“ Volkskunde angesprochen, die heute<br />
unter mehreren Namen (Europäische Ethnologie, Kulturanthropologie, Empirische Kulturwissenschaft)<br />
institutionalisiert sind. Grundlegend zum Konzept einer „Kulturwissenschaft Volkskunde“<br />
vgl. Scharfe, M. (2002): Menschenwerk. Erkundungen über Kultur, Böhlau: Köln / Weimar / Wien.<br />
5 Die beiden Interviewserien werden im Folgenden mit „IS 1“ und „IS 2“ abgekürzt. Einzelne Interviews<br />
werden mit Angaben zum Datum sowie zu Geschlecht und Alter der Befragten zitiert. Um<br />
deren Anonymität zu wahren, wird auf die Nennung von Namen verzichtet. Unter den Befragten der<br />
IS 1 waren 27 männlichen und 28 weiblichen Geschlechts. Knapp 36% von ihnen arbeiteten in der<br />
gewerblichen Industrie und knapp 29% im Dienstleistungssektor, während lediglich 3,4% in der<br />
Landwirtschaft und ebenfalls 3,4% im Bergbau tätig waren. Knapp 12% machten keine Angaben<br />
über ihren Beruf, ca. 7% befanden sich in Ausbildung, und etwa 10% waren in Pension gegangen.<br />
Unter den Befragten der IS 2 befanden sich 6 Männer, von denen 5 untertage gearbeitet hatten und<br />
einer obertage beschäftigt war sowie 3 Frauen, die im Betrieb als Sekretärin, Laborantin und Putzfrau<br />
angestellt waren. Mit einer Ausnahme waren sie nicht im Evakuierungsgebiet, sondern in anderen<br />
Teilen von Schwaz oder in Umlandgemeinden wohnhaft.<br />
6 Im Folgenden kann nur ein Teil des Materials einbezogen werden, das aus folgenden Archiven<br />
stammt: Archiv der ehemaligen Berghauptmannschaft Innsbruck in der Montanbehörde West, Salz-