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Katastrophen machen Geschichte - oapen

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Reinhard Bodner<br />

henden Gefahr eines größeren Bergsturzes zu treffen, sondern darüber hinaus<br />

auch, die traditionsreiche Bergbaugeschichte der Stadt zu beenden. Dieser Wunsch<br />

erfüllte sich insofern, als das Bergwerk 1999 zwar nicht definitiv stillgelegt, aber auf<br />

unbestimmte Zeit geschlossen wurde und bis heute außer Betrieb ist. Dagegen<br />

bestreitet eine kleine, in die Defensive gerate Gruppe von Bergbauanhängern bis<br />

heute, dass es einen „Zusammenhang von oben und unten“ 2 gegeben habe, und<br />

setzt sich für eine Wiedereröffnung des Bergwerks ein.<br />

Mit diesem Konfliktfeld möchte ich mich im Folgenden auf der Grundlage<br />

von Archiv- und Feldforschungen beschäftigen, die Margret Haider und ich seit<br />

2007 im Rahmen eines Forschungsprojekts 3 durchgeführt haben, das sich aus<br />

volkskundlich-kulturwissenschaftlicher Sicht 4 mit der letzten Entwicklungsphase<br />

des Tiroler Bergbaus im 19. und 20. Jahrhundert befasst. Im Unterschied, aber<br />

auch als Ergänzung und Erweiterung zu mehreren natur- und ingenieurwissenschaftlichen<br />

Studien über die Felsstürze galt unser Interesse der kulturellen Bedeutung<br />

des Ereignisses, das für die Menschen vor Ort eine Unterbrechung ihres Alltags<br />

und oft auch eine lebensgeschichtliche Wende mit sich brachte; wobei die<br />

Identifizierung des Bergbaus als Schuldigem einen entscheidenden Anteil an der<br />

gesellschaftlichen Verarbeitung der Felsstürze hatte. Vor diesem Hintergrund wurden<br />

zwei qualitative, leitfadengestützte Interviewserien durchgeführt: Sie galten den<br />

lebensgeschichtlichen Erinnerungen einer Mehrheitsgruppe von Personen, die<br />

aufgrund der Ereignisse für mehrere Monate evakuiert werden mussten, und einer<br />

Minderheitsgruppe von Personen, die bis 1999 im Bergbau beschäftigt waren und<br />

danach ihren Arbeitsplatz verloren. 5 Neben den Transkriptionen dieser Interviews<br />

wurde eine Materialsammlung erstellt, die derzeit etwa 400 Berichte aus der Tages-<br />

und Wochenpresse sowie politische Verlautbarungen, Gutachten, Verwaltungsakten<br />

und Bildmaterial aus öffentlichen und privaten Archiven 6 umfasst.<br />

2 Kleine Zeitung (Graz), 17.07.1999.<br />

3 Es handelt sich um das Teilprojekt 4 („Cultural Tendencies and Dominants in Modern Mining“) des<br />

Spezialforschungsbereichs HiMAT („The History of Mining Activities in the Tyrol and Adjacent<br />

Areas. Impact on Environment and Human Societies“) der Universität Innsbruck.<br />

4 Damit ist die Perspektive der Nachfolgedisziplinen der „alten“ Volkskunde angesprochen, die heute<br />

unter mehreren Namen (Europäische Ethnologie, Kulturanthropologie, Empirische Kulturwissenschaft)<br />

institutionalisiert sind. Grundlegend zum Konzept einer „Kulturwissenschaft Volkskunde“<br />

vgl. Scharfe, M. (2002): Menschenwerk. Erkundungen über Kultur, Böhlau: Köln / Weimar / Wien.<br />

5 Die beiden Interviewserien werden im Folgenden mit „IS 1“ und „IS 2“ abgekürzt. Einzelne Interviews<br />

werden mit Angaben zum Datum sowie zu Geschlecht und Alter der Befragten zitiert. Um<br />

deren Anonymität zu wahren, wird auf die Nennung von Namen verzichtet. Unter den Befragten der<br />

IS 1 waren 27 männlichen und 28 weiblichen Geschlechts. Knapp 36% von ihnen arbeiteten in der<br />

gewerblichen Industrie und knapp 29% im Dienstleistungssektor, während lediglich 3,4% in der<br />

Landwirtschaft und ebenfalls 3,4% im Bergbau tätig waren. Knapp 12% machten keine Angaben<br />

über ihren Beruf, ca. 7% befanden sich in Ausbildung, und etwa 10% waren in Pension gegangen.<br />

Unter den Befragten der IS 2 befanden sich 6 Männer, von denen 5 untertage gearbeitet hatten und<br />

einer obertage beschäftigt war sowie 3 Frauen, die im Betrieb als Sekretärin, Laborantin und Putzfrau<br />

angestellt waren. Mit einer Ausnahme waren sie nicht im Evakuierungsgebiet, sondern in anderen<br />

Teilen von Schwaz oder in Umlandgemeinden wohnhaft.<br />

6 Im Folgenden kann nur ein Teil des Materials einbezogen werden, das aus folgenden Archiven<br />

stammt: Archiv der ehemaligen Berghauptmannschaft Innsbruck in der Montanbehörde West, Salz-

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