17.11.2012 Aufrufe

Katastrophen machen Geschichte - oapen

Katastrophen machen Geschichte - oapen

Katastrophen machen Geschichte - oapen

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

140<br />

Christof Mauch<br />

USA heimgesucht worden war. Von den Geschäftsleuten San Franciscos über die<br />

Protagonisten der Southern Pacific Railroad bis zum Gouverneur von Kalifornien<br />

war unisono zu hören, dass nicht das Erdbeben, sondern das im Anschluss daran<br />

ausgebrochene Feuer die Zerstörungen verursacht habe. Eine Journalistin des<br />

Chicago Record-Herald, Marion Scheitlin, schrieb, dass die „Doppelkatastrophe“<br />

von San Francisco partout als „the fire“ bezeichnet werde (zitiert in Steinberg<br />

2006, S. 29). Gouverneur George Pardee hob hervor, dass man nur 41 gesetzliche<br />

Ruhetage nach der Katastrophe eingerichtet habe, wesentlich weniger als etwa in<br />

Baltimore, wo die Stadtväter 1904 einen 73-tägigen Notstand infolge eines Feuers<br />

für nötig befunden hatten. In San Francisco, so suggerierte Gouverneur Pardee, sei<br />

der alltägliche Betrieb nur kurzzeitig aus der Spur geraten.<br />

Natürlich gab es auch kritische Stimmen. Versicherungsagenten zum Beispiel,<br />

die zwar für den Feuerschaden aufzukommen hatten, nicht aber für die vom<br />

Erdbeben verursachten Verluste (1906 existierten weltweit noch keine<br />

Versicherungen gegen Erdbeben!), versuchten, die Rolle des Feuers<br />

herunterzuspielen und das Erdbeben für möglichst viele Schäden verantwortlich<br />

zu <strong>machen</strong>. Darüber hinaus gab es eine Reihe von Geologen und Wissenschaftlern,<br />

vor allem an der Stanford University, die auf das seismische Risiko in Kalifornien<br />

aufmerksam machten und Gelder für Forschungen einforderten. Im Vergleich zu<br />

den Unternehmern von San Francisco, die ein genuines Interesse daran hatten, das<br />

Erdbebenrisiko herunterzuspielen, waren die Wissenschaftler jedoch fast völlig<br />

machtlos. Sieben Jahre nach dem Beben schrieb der Stanford-Geologe John<br />

Branner (1913): „Shortly after the earthquake of April 1906 there was a general<br />

disposition that almost amounted to concerted action for the purpose of<br />

suppressing all mention of that catastrophe. When efforts were made by a few<br />

geologists to interest people and enterprises in the collection of information in<br />

regard to it, we were advised and even urged over and over again to gather no<br />

such information, and above all not to publish it. ‘Forget it’, ‘the less said, the<br />

sooner mended,’ and ‘there hasn’t been any earthquake’ were the sentiments we<br />

heard on all sides.” (S. 2-3) Es sollte noch bis 1933 dauern – damals forderte ein<br />

Erdbeben 117 Menschenleben im südlichen Kalifornien –, bis der Bundesstaat<br />

gesetzliche Sicherheitsstandards, zunächst für Schulgebäude, geltend machte<br />

(Steinberg 2006, S. 38-39). Allerdings blieben Versuche von Geologen, die<br />

Einstufung der seismischen Risiken in Nordkalifornien realistischer einzuschätzen<br />

und damit höhere Bauauflagen zu fordern, auch in der zweiten Hälfte des 20.<br />

Jahrhunderts weitgehend ungehört. Der Ingenieur Karl Steinbrugge (1982), der als<br />

erster die 1975 gegründete California State Seismic Safety Commission leitete,<br />

hatte bereits in den 1960er Jahren darauf hingewiesen, dass eine Reihe von<br />

Geologen durch „the threat of legal action on the part of property owners“<br />

davon abgehalten wurde, ihr Wissen im Detail zu veröffentlichen (S. 32). Analog<br />

unternahmen staatliche Geologen in Utah Anfang der 1990er Jahre den Versuch,<br />

das Erdbebenrisiko im nördlichsten Teil des Staates höher einzustufen. Die

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!