Katastrophen machen Geschichte - oapen
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Wallfahrt und Kreuzgang<br />
der gesehen werden. Wunder waren somit Ereignisse, die den Betroffenen einen<br />
hohen Nutzen versprachen.<br />
Während der Wallfahrten opferten die Pilger zahlreiche Votivgaben wie etwa<br />
Bilder. Der Volkskundler Klaus Beitl definiert die Funktion von Votivbildern<br />
folgendermaßen: „Das Votivbild ist […] eine dingliche Opfergabe, die der Stifter<br />
in Erfüllung eines Gelübdes, mit der Bitte um Erlangung einer besonderen Hilfe<br />
und/oder aus Dankbarkeit für einen erlangten Gnadenerweis […] hinterlegt.“ 29<br />
Votivbilder konnten also entweder als Dank oder als nachdrückliche Verstärkung<br />
einer Bitte um Erhörung an die Heilige Maria oder andere Heilige gespendet<br />
werden. Diese Bildquellen zeigen stärker als andere Überlieferungen die frühneuzeitliche<br />
Frömmigkeitspraxis der Bevölkerung, da sie zumeist von Handwerkern<br />
und, seltener, von ausgebildeten Künstlern hergestellt wurden. Außerdem wurden<br />
die Künstler bei der Erstellung der Bilder von den Votivstiftern, hier den<br />
Tierhaltern, beeinflusst. 30<br />
Bisweilen boten ganze Gemeinden einem Heiligen ein Votivbild dar. Das geschah<br />
1799 in der Wallfahrtskirche Sankt Leonhard in Siegertsbrunn bei München,<br />
als die Pfarrgemeinde Untermenzing eine Wallfahrt zu dem Schutzheiligen<br />
des Viehs machte und ein Votivbild spendete. 31 Das Bild, dessen Urheber auf der<br />
Bildvorderseite nicht vermerkt wurde, wurde 1899 restauriert. Es trägt folgende<br />
Inschrift: „Anno 1799 den 10. october hat sich eine Ehrsame gemeinde von Untermenzing,<br />
in der Roß und vieh seuche, zu den wunderthätigen und Gnadenreichen<br />
Heil. Leonard Nechst Sigertsbrun hin verlobt, wosie Durch ihr vestes vertrauen<br />
einen Kreuzgang angestellt und allso bald Hilf erhalten, wo für Gott, und<br />
dem Heil. Leonard als ihren vorbitter Ewigen dank gesagt worden.“ Das Bild<br />
trennt deutlich zwischen einer diesseitigen und einer jenseitigen Ebene, indem<br />
das Jenseits durch einen Wolkenkranz abgegrenzt wird. Im Jenseits schwebt der<br />
Heilige Leonhard vor dem Wolkenkranz. Viehkette und Pferdekopf zeigen die<br />
Funktion des Schutzheiligen. Die ebenfalls abgebildeten geistlichen Zeichen<br />
Mitra und Krummstab weisen darauf hin, dass Leonhard Abt eines von ihm gegründeten<br />
Klosters gewesen sein soll. 32 Über dem Heiligen schweben im hellen<br />
Licht Gott, Jesus Christus und eine Taube, die die Heilige Trinität von Vater,<br />
Sohn und Heiligem Geist symbolisieren. In der unteren Bildhälfte ist das Diesseits<br />
dargestellt. Hier sind die zentralen Gegenstände und Personen des diesseitigen<br />
Wundergeschehens zu sehen. Die unter einer Viehseuche leidende Pfarrge-<br />
29 Beitl, K. (1973): Votivbilder. Zeugnisse einer alten Volkskunst. Mit 48 Farbtafeln, Residenz:<br />
Salzburg, S. 13.<br />
30 Vgl. Engl, T. (1983): Medizingeschichte der Votivtafeln, München: Diss, S. 57; Kriss-<br />
Rettenbeck, L. (1958): Das Votivbild, Herrmann Rinn: München, S. 135, 142.<br />
31 Vgl. Henker, M. (Hg.) (1992): Bauern in Bayern. Von der Römerzeit bis zur Gegenwart, Haus der<br />
Bayerischen <strong>Geschichte</strong>: München, S. 184.<br />
32 Die Existenz des Heiligen Leonhard von Noblac ist nicht zweifelsfrei erwiesen. Leonhard wurde<br />
unter anderem der Schutz des Viehs unterstellt, vgl. Bauer, T. (2003): Leonhard von Noblac. In:<br />
Steimer, B. / Wetzstein, T.: Lexikon der Heiligen und der Heiligenverehrung. Band 2. Personenteil I-<br />
Q, Herder: Freiburg / Basel / Wien, Sp. 944-946, Sp. 945.<br />
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