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Katastrophen machen Geschichte - oapen

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5 Das Ende des Schädlings<br />

Bernd Herrmann & Jana Sprenger<br />

Die zeitlich auffällige Häufung der Heuschreckenkalamitäten in Brandenburg im<br />

18. Jh. findet eine einfache Erklärung im klimatischen Wandel. Mit dem Auslaufen<br />

der Kleinen Eiszeit am Ende des 17. und vor allem im 18. Jh. wurden die klimatischen<br />

Bedingungen (Wärme und Feuchtigkeitszunahme in den primären und sekundären<br />

Brutgebieten) für Heuschreckenzüge günstig. Aufgabe der Brache in<br />

Mitteleuropa und Landschaftsumgestaltung hier wie im Südosten Europas entzogen<br />

den Heuschrecken in Mitteleuropa im 19. Jh. den Lebensraum. Nicht „Ausrottung“<br />

im Sinne der effizienten Entfernung von der konkreten Fläche durch Töten<br />

der Tiere befreite Mitteleuropa von der Plage. Vielmehr waren es die fortschreitende<br />

Agrarkultur und der Landschaftswandel, also eine Verdrängung.<br />

Der naturwissenschaftlich rationale und ökonomisch kritische Krünitz hatte, gegen<br />

Ende des 18. Jh.s, schon darauf verwiesen, dass die Heuschreckenschäden lediglich<br />

den betriebswirtschaftlichen Belastungen zuzurechnen wären. Hinsichtlich der von<br />

ihnen verursachten Notstände wollte Krünitz nicht einmal so recht eine überlokale<br />

Bedeutung anerkennen. Das Urteil des distanzierten zeitgenössischen Analytikers<br />

hilft, den wirtschaftlichen Stellenwert der Kalamitäten einzuordnen, wo die Aktenlage<br />

mit den besorgniserregenden Berichten über die Bedrohungslage, durch Betroffene<br />

wie berichtende Beamte, ein anderes Bild vermuten lassen würde. Es waren<br />

sozusagen nur kleine <strong>Katastrophen</strong>. 60 Wen sie als Agrarproduzenten trafen, der<br />

mochte seine Einbuße haben. Auf die Ebene des Staates bezogen hätten sie sich –<br />

so sagt Krünitz – nicht bemerkbar gemacht. 61 Dieses Urteil kollidiert zwar mit der<br />

geringen Getreideproduktivität in Brandenburg, 62 die Mehrheit der Getreide produzierenden<br />

Flächen Brandenburgs war aber, soweit bekannt, nicht permanent<br />

heuschreckengefährdet. Selbst die vermeintlich auf hohe Schadwirkung hinweisende<br />

Schrift von Körte kann die Position von Krünitz nur sehr bedingt erschüttern.<br />

Körte hat Krünitz gelesen und dessen Bewertung nicht widersprochen, wozu sich<br />

seine Fußnote 1 (S. 3) angeboten hätte. Körte schreibt zudem aus einem aktuellen<br />

Anlass (Heuschrecken in Brandenburg 1826/27), um mit seiner kleinen Fibel eine<br />

Handreichung gegen den Schädling bereit zu stellen. Dass eine solche Zielsetzung<br />

sich verbaler Nachdrücklichkeit bedient, wird nicht verwundern.<br />

Im Gegensatz zu anderen Naturkatastrophen sind Insekten in Brandenburg bzw.<br />

allgemein in Mitteleuropa heute kaum noch bewusst erfahrene Bedrohungen. Letzte<br />

große Schadensfälle von volkswirtschaftlicher Bedeutung erreichte der Kartof-<br />

60 Das Urteil findet eine Parallele in der Feststellung über Hungerkrisen, denen Heuschreckenkalamitäten<br />

letztlich zugeordnt werden müssen: “Famines are regional crises. One might go further and<br />

claim that famines are regional crises that can only be understood by the ‚local story’.“ (Vanhaute et<br />

al., S. 34)<br />

61 Krünitz, Lemma „Heuschrecke“, S. 482.<br />

62 Borgstede (1788): Beschreibung; Bratring (1803): Beschreibung.

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