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Katastrophen machen Geschichte - oapen

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Ein „Zusammenhang von oben und unten“?<br />

bewältigt werden. Die Eigenlogik der Natur „um uns“ zu akzeptieren, hieße aber<br />

auch, mit der (weitgehend unbewussten) Eigenlogik der Natur „in uns“ zurande zu<br />

kommen, die unser bewusstes Wahrnehmen, Deuten und Bewältigen unterminiert.<br />

Aus diesem Grund sind sowohl natur- und ingenieurwissenschaftliche als auch<br />

psychologische Untersuchungen zur <strong>Katastrophen</strong>- und Bergbauforschung von<br />

Interesse für einen volkskundlich-kulturwissenschaftlichen Zugang. Anders als<br />

diese rückt er aber die Analyse „kultureller Objektivationen“ 80 in den Mittelpunkt<br />

des Interesses, die er als Zeichen und als Werkzeug der Auseinandersetzung des<br />

Menschen mit der Natur und mit sich selbst versteht. Bezeichnend für diese Kulturäußerungen<br />

ist ihr Bedeutungsüberschuss: das, was zum Zeitpunkt ihrer Entstehung<br />

noch nicht bewusst war, aber auch jenes, das nachgeborenen Generationen<br />

nicht mehr bewusst ist. Gerade in dieser Mehrdeutigkeit besteht ihr Potential, neu<br />

angeeignet, adaptiert und umfunktionalisiert zu werden, wobei von „Kontinuität“<br />

nicht im Sinne eines lückenlosen Überlieferungs-Stammbaums, aber unter dem<br />

Aspekt eines Andauerns unterschiedlicher Aneignungsformen die Rede sein<br />

kann. 81 Dies lässt sich ansatzweise auch am Beispiel der Deutungs- und Verhaltensmuster<br />

zeigen, die in diesem Beitrag vorgestellt wurden: Sie sind Teil einer aus<br />

älteren, latent vorhandenen Symboltraditionen „erborgten Sprache“ (Marx), die in<br />

der Krisensituation nicht nur von Einzelnen, sondern verbreitet aufgegriffen wurde,<br />

um mit kollektiven, oft aber auch sehr persönlichen Ängsten und Affekten<br />

einen kulturell vermittelten Umgang zu finden.<br />

Eine Analyse dieser symbolischen Formen kann aus den Traditionen der Bergbau-<br />

und der <strong>Katastrophen</strong>kultur schöpfen und beide in Bezug zueinander setzen:<br />

Geht man vom „Symbolfeld des Bergbaus“ 82 aus, ist als zentraler Angelpunkt der<br />

Übergang von der religiös motivierten Bergbaupraxis und -kritik des Mittelalters<br />

zur frühneuzeitlichen Bergbau-Modernisierung und den damit verbundenen Legitimationsproblemen<br />

zu nennen. Sah die christianisierte Sakralkultur der mittelalterlichen<br />

Bergleute den Bergbau als kultische Kommunikation mit einem höheren<br />

Wesen an, wies die zeitgenössische Bergbaukritik, vielfach im Rückgriff auf antike<br />

Argumente, auf Folgeschäden des Bergbaus hin, aufgrund derer die gebärende<br />

Kraft der Erde zerstört werde. Als wesentliche mentalitätsgeschichtliche Voraussetzung<br />

für die Durchsetzung einer zusehends säkularen Bergbaupraxis ist die<br />

Neuinterpretation eines solchen „Muttermordes“: Die Natur wird zur „Stiefmut-<br />

80 Im Anschluss an Karl R. Poppers 3-Welten-Theorie kann darunter nach Scharfe: Menschenwerk,<br />

S. 17, „der Bereich dessen“ verstanden werden, „was objektiv aus den geistigen Tätigkeiten des Menschen<br />

hervorgeht, was sich dann von den Menschen trennt und fürderhin losgelöst von ihnen existiert:<br />

also das gesprochene und geschriebene Wort, <strong>Geschichte</strong>n, Bilder, Gedanken, gedankliche<br />

Pläne, Vorhaben, Theorien (richtige wie falsche, betont Popper), Vermutungen und Probleme, das<br />

Wissen, Kunstwerke, Mythen, Wissenschaft, Argumente, Überlieferungen, Regeln, Gesellschaftsstrukturen.“<br />

81 Vgl. ebd., bes. 19-20 u. 195-200.<br />

82 Im Folgenden orientiere ich mich an Böhme, H. (1988): Geheime Macht im Schoß der Erde. Das<br />

Symbolfeld des Bergbaus zwischen Sozialgeschichte und Psychohistorie. In: ders.: Natur und Subjekt,<br />

Suhrkamp: Frankfurt/Main, S. 67-144, bes. 67-88.<br />

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