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Katastrophen machen Geschichte - oapen

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Verena Twyrdy<br />

Mit dem Bau von Deichen als technische Abwehrmaßnahme verhält es sich anders,<br />

als bei der Errichtung von Blitzableitern. Zum einen handelt es sich beim<br />

Deichbau um eine Praxis, die seit nunmehr einem Jahrtausend Bestand hat. Zum<br />

anderen bildet der Deich an der Küste überhaupt erst die Voraussetzung für eine<br />

dauerhafte Besiedlung der Marschen und nimmt mit seiner Schutzfunktion vor<br />

Sturmfluten eine zentrale Rolle bei der Küstenbevölkerung ein.<br />

Auch bei der Deichbaupraxis ist die Umsetzung dieser technischen Maßnahme<br />

– ähnlich wie beim Blitzableiter – eng mit der Deutung der Naturkatastrophe<br />

im Rahmen des religiösen Weltbildes in der Frühen Neuzeit verknüpft. So empfanden<br />

Küstengesellschaften nicht nur die Flutkatastrophe selbst als Ausdruck<br />

göttlichen Willens, sondern die erfolgreiche Eindeichung oder die Erhaltung der<br />

Deiche während einer Sturmflut wurden ebenfalls als Resultat göttlichen Wirkens –<br />

in dem Falle seiner Barmherzigkeit – gedeutet. Für den hier gewählten Untersuchungszeitraum<br />

kann die Interpretation von Sturmfluten als göttliche Bestrafung<br />

als vorherrschende Erklärung des Phänomens gelten. Insbesondere im 16. und<br />

17. Jahrhundert bestanden keine Zweifel an diesem Deutungsmuster. Und auch<br />

noch zu Beginn des 18. Jahrhunderts hatte sich nichts an dieser Weltsicht geändert.<br />

Erst seit dem zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts setzte sich langsam die Vorstellung<br />

durch, dass Sturmfluten ein Werk der Natur seien, wobei dieser Erkenntniszuwachs<br />

mitnichten die sofortige Aufgabe religiöser Deutungsmuster nach sich<br />

zog. Seit dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts ist jedoch davon auszugehen,<br />

dass religiöse Deutungsmuster weitgehend aus den Köpfen der Küstenbewohner<br />

verschwunden waren. Vor diesem Hintergrund erst kann der Deichbau als technisch<br />

orientierte Strategie zur Bewältigung betrachtet werden, auch wenn die religiöse<br />

Sichtweise diesem nicht unbedingt entgegenwirkte, wie es beim Blitzableiter<br />

der Fall war.<br />

Und dennoch waren die Errichtung von Deichen und deren theologische<br />

Rechtfertigung in der Vergangenheit untrennbar miteinander verbunden. Im 16.<br />

und 17. Jahrhundert, als noch so gut wie keine naturwissenschaftlichen Kenntnisse<br />

die göttliche Strafgerichtsdeutung in Frage stellten, gingen die Frömmigkeitspraktiken<br />

sogar so weit, auch beim Bau von Deichen um Gottes Unterstützung zu bitten,<br />

denn auch die Verschonung vor Sturmfluten bzw. die Standhaltung der Deiche<br />

während einer Sturmflut wurden als barmherzige Tat Gottes interpretiert.<br />

Erhofft wurde sich diese Unterstützung durch das Abhalten von Betstunden und<br />

Gottesdiensten. Den Arbeitern auf Deichbaustellen wurde ebenfalls ein gottgefälliges<br />

Verhalten nahegelegt. Der Glaube, dass es beim Deichbau der göttlichen Unterstützung<br />

und diverser Frömmigkeitspraktiken bedurfte, hielt sich vereinzelt<br />

sogar bis Mitte des 18. Jahrhunderts.<br />

Wenn Gottes Barmherzigkeit allein über die Standhaftigkeit der Deiche entscheiden<br />

konnte, musste dies umgekehrt aber auch bedeuten, dass kein Deich einer<br />

göttlichen Strafmaßnahme standhalten konnte, sofern Gott dies beabsichtigte. So<br />

bestand insbesondere nach einer Sturmflut die Gefahr, dass die Küstenbewohner<br />

in eine Hoffnungslosigkeit verfielen, die der Instandsetzung und dem Bau neuer

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