Katastrophen machen Geschichte - oapen
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Ein „Zusammenhang von oben und unten“?<br />
scher Konzepte gedeutet worden ist. 85 Die „Raubbau“-Kritik bezog sich dabei<br />
weniger auf ökonomische Grenzen, wie in früheren Phasen der Bergbaugeschichte,<br />
sondern auf „Umweltsünden“, wie es sich seit der „ökologischen Wende“ um 1970<br />
häufig beobachten lässt.<br />
Doch sind diese Erklärungsmodelle nur eine Wirklichkeit der „Katastrophe“,<br />
deren Verarbeitung stets auch konkrete Maßnahmen erfordert. Auffällig in diesem<br />
Praxis-Bereich ist eine Tendenz zur „Technokratisierung der Katastrophe“ 86, wie<br />
Jens Ivo Engels sie am Beispiel des Umgangs mit <strong>Katastrophen</strong> in Deutschland<br />
seit Beginn der 1960er-Jahre beschrieben hat: Während die <strong>Katastrophen</strong>-Moral<br />
dahin geht, die Kritik an der menschlichen Maßlosigkeit im Umgang mit der Natur<br />
auf die jüngste Bergbauphase zu projizieren, als ob der Bergbau nicht von Anfang<br />
an mit schwerwiegenden Eingriffen in die Ökosysteme verbunden gewesen wäre,<br />
soll „prozessorientiertes Naturgefahrenmanagement“ 87 letzten Endes die Oberhand<br />
über den Berg behalten. Der Eiblschrofen sei nun, so erklärten Behörden,<br />
Experten und Politiker nicht ohne Stolz, der „am besten untersuchte und bewachte<br />
Berg Europas“, ja mehr noch: der „bestuntersuchte Berg der Welt“ 88.<br />
Dass selbst von einem solchen Gipfel bis heute kleinere Steinschläge abgehen<br />
können, wird von der Bergbau-Community als ein Beleg dafür angesehen, dass<br />
„Naturereignisse“ auch ohne den Bergbau möglich seien. Dagegen betrachten die<br />
meisten Anrainer es als positiven Effekt der Bergwerksschließung, dass seit 1999<br />
„nichts Größeres“ die Dämme herausgefordert habe. Beim Versuch, einen kulturanalytischen<br />
Zugang zu diesem Konfliktfeld zu finden, genügt es nicht, der einen<br />
oder der anderen Gruppe ein größeres oder geringeres Maß an „Rationalität“ oder<br />
„Irrationalität“ zuzuschreiben, unter den einen mehr „Experten“ und „Aufklärung“<br />
und unter den anderen mehr „Laien“ und „Missverständnisse“ zu vermuten.<br />
Auf je eigene Weise sind beide Perspektiven als kulturelle Leistung anzusehen, die<br />
mit der Ambivalenz des modernen Fortschritts einen Umgang zu finden sucht: mit<br />
seinen Segnungen und dem Wunsch, sie ungehemmt und unendlich zu genießen,<br />
aber auch mit seinen Folgeschäden und der Angst davor, dass jene Errungenschaften,<br />
die dem Fortschritt dienen, sich auch als Gewalt gegen den Menschen und die<br />
Natur richten könnten.<br />
Zehn Jahre nach den Felsstürzen scheinen die Stimmungen, Gefühle und Affekte,<br />
die in Ried damals „hochgekommen“ sind, auf den ersten Blick kaum noch<br />
präsent zu sein. Die Besucherin, der Besucher findet renaturalisierte Schutzwälder<br />
und begrünte Dämme, einen rekultivierten Ort mit nicht wenigen Neubauten und<br />
ein zwar geschlossenes, aber aus Sicherheitsgründen ständig gewartetes Bergwerk<br />
85 Vgl. dazu etwa Groh, D. / Kempe, M. / Mauelshagen, F.: Einleitung. Naturkatastrophen – wahrgenommen,<br />
gedeutet, dargestellt. In: dies. (Hg.): Naturkatastrophen, S. 11-33, hier 20 u. 27, oder<br />
Rieken: Wasser, S. 114-116.<br />
86 Engels: Subjekt, S. 125. Vgl. ebd., S. 125-134.<br />
87 Tiroler Tageszeitung (Innsbruck), 04.12.1999.<br />
88 Tiroler Tageszeitung (Innsbruck), 24.09.1999, Tiroler Tageszeitung (Innsbruck), 13.04.2000.<br />
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