Katastrophen machen Geschichte - oapen
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Heuschreckenkalamitäten in Brandenburg<br />
felkäfer (Leptinotarsa decimlineata) in den 30er bis 50er Jahren des 20. Jh.s in<br />
Mitteleuropa. Durch die weltweite Bedeutung der Kartoffelkultur lägen die unbekämpften<br />
Fraßschäden des Kartoffelkäfers weltweit vermutlich weit über denen<br />
heutiger Heuschreckenzüge.<br />
Andere Insekten (Maikäfer, Borkenkäfer) haben ebenfalls durch effiziente Bekämpfungsmaßnahmen,<br />
vor allem seit Entwicklung chemischer Bekämpfungsmittel,<br />
in Mitteleuropa bestenfalls regionale, überwiegend nur noch lokale Bedeutung.<br />
Für Heuschrecken wurde zuletzt um 1875 ein Massenauftreten in Deutschland<br />
registriert. Metahemerobe Bedingungen schließen seitdem aus, dass sie auf absehbare<br />
Zeit wiederkommen könnten. So war es möglich, sie als Bedrohung aus dem<br />
kollektiven Gedächtnis zu entlassen, in dem sie aber bereits vorher nicht sonderlich<br />
sicher vertreten war. Der „Grosse Brockhaus“ besprach 1935 die Europäische<br />
Wanderheuschrecke nur noch in enzyklopädischer Aufzählung, ohne Hinweis auf<br />
historische Schadensereignisse. Die Ausgabe 1884 erwähnte immerhin, dass 1875<br />
Heuschrecken in den Bezirk Potsdam gekommen wären. In der Ausgabe von 1845<br />
wurde nur der Heuschrecken „in Deutschland“ von 1750 gedacht. In der „Allgemeinen<br />
deutschen Realenzyklopädie für die gebildeten Stände“ von 1824 wurde<br />
sogar behauptet, „Deutschland“ sei seit 1750 „gäntzlich von dieser großen Plage<br />
verschont geblieben.“ Diese Aussage deckt sich zwar mit der Quellenstudie von<br />
Schönwälder, 63 trifft aber in ihrem Urteilsanspruch nicht zu; nicht nur, weil die<br />
Bewertungsmaßstäbe für die Registrierung relevanter Fälle offen blieben, sondern<br />
auch, weil von Schönwälder nachweisliche jüngere Schwärme übersehen wurden.<br />
In „Unsere Zeit. Deutsche Revue der Gegenwart“, einer Monatsschrift zum<br />
Konversationslexikon von Brockhaus, knüpfte Dürigen 64 an das damals aktuelle<br />
Geschehen des Vorjahres an. Auch er bezifferte keine allgemeinen Schäden, sondern<br />
bezog sich nur auf die allseits und seit altersher bekannte Gefährdung und<br />
Zerstörungsleistung durch die Schadorganismen. 65<br />
Die Administration reagierte bereits 1731 vergleichsweise schnell und nach<br />
dem damaligen Wissensstand durchaus angemessen auf die seit den 1720er Jahren<br />
einsetzende Bedrohung der Landwirtschaft mit zwei Edikten. Nicht die Art der<br />
Bedrohung, nicht ihr Potential wurde falsch eingeschätzt, doch scheinen die Schadensfälle<br />
letztlich geringer als erwartet ausgefallen zu sein, sonst hätte man die<br />
regelmäßige und präventive Bekämpfung wohl kaum so nachlässig gehandhabt. So<br />
schickte denn auch der damals schon bekannte Gelehrte Gleditsch im Oktober<br />
1776 sein „allerletztes Exemplar“ seiner 1754 erschienenen „Abhandlung von der<br />
Vertilgung der Zug-Heuschrecken“ an die Verwaltung, mit dem resignierten Hin-<br />
63 Schönwälder, H. (1959): Quellenstudien über Heuschreckeneinfälle in Mitteleuropa. In: Zeitschrift<br />
für angewandte Entomologie 46 (4), S. 401-419.<br />
64 Dürigen, B. (1876): Die Wanderheuschrecke. In: Unsere Zeit. Deutsche Revue der Gegenwart.<br />
N.F. 12, 1.Hälfte: 170-186.<br />
65 Die Angabe Dürigens (S. 175), wonach ein Inspektor der Domäne Löwenbruch (Teltower Kreis)<br />
den Heuschreckenschaden für 1875 (?) oder 1876 (?) auf 800 Taler beziffert hätte, ist weder nachprüfbar<br />
noch geeignete Referenz für das 18. Jahrhundert.<br />
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