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Katastrophen machen Geschichte - oapen

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54 Sarah Schmitz<br />

Bevölkerung zu verstärken und neue Ressourcen zu gewinnen. Nach dem<br />

bisherigen Kenntnisstand scheint es, dass nach Ausbrüchen der Pest in Ägypten<br />

eine Zunahme beduinischer Angriff auf Dörfer zu verzeichnen ist, doch scheint<br />

die These, dass sie rein gar nicht von der Pest betroffen waren, recht fragwürdig.<br />

Ihr liegt die Annahme zugrunde, die Nomaden hätten zurückgezogen in der Wüste<br />

gelebt und verseuchte Städte gemieden. 43 Ihre Lebensweise kann man aber gemäß<br />

neueren Forschungsergebnissen 44 auch heranziehen, um dafür zu argumentieren,<br />

dass Nomaden durchaus auch physisch von der Seuche bedroht waren. Demnach<br />

muss man davon ausgehen, dass Nomaden und Sesshafte sich nicht als zwei<br />

abgeschlossene Gruppen gegenüber standen, die kaum miteinander in Berührung<br />

kamen. Tatsächlich gab es aber einen regen Austausch zwischen Nomaden und<br />

Sesshaften, der für beide Seiten von hoher Bedeutung war. Für die Beduinen war<br />

der Handel mit den Sesshaften sogar konstitutiver Bestandteil ihrer Lebensweise. 45<br />

Der größte Teil ihrer Tierzucht war auf die Bedürfnisse von Bauern und Städtern<br />

ausgerichtet, sei es als Schlachttiere, als Lasttiere für den Karawanenhandel oder als<br />

Zugtiere für das Bewässerungssystem. Im Gegenzug waren die Beduinen darauf<br />

angewiesen, Lebensmittel, Textilien und andere Güter auf den städtischen Märkten<br />

zu erwerben. Eine vollständige Abschottung gegenüber der sesshaften<br />

Bevölkerung ist also zu keiner Zeit vorstellbar. Zumindest werden auch Beduinen<br />

zu den Opfern der Pest gezählt, wie z.B. in der oben zitierten Passage aus der<br />

Chronik von al-Maqrizi. 46<br />

Dennoch bot die nomadische Lebensweise zur Zeit der Seuche entscheidende<br />

Vorteile. Analog zu den Beobachtungen moderner Reisender und Ethnographen<br />

kann davon ausgegangen werden, dass die Beduinen die meiste Zeit des Jahres in<br />

kleinen Zeltgruppen lebten. 47 Die Lager der verschiedenen Gruppen wurden oft<br />

weit voneinander entfernt aufgeschlagen. Falls nun tatsächlich ein Lager von der<br />

Pest befallen worden war, so musste nicht notwendigerweise das nächste Lager, die<br />

ganze Gruppe oder gar der ganze Stamm davon betroffen werden. 48 Im Gegensatz<br />

zu Dörfern, Städten oder Armeekasernen wurde die Verbreitung der Seuche unter<br />

43 Vgl. Conrad, Pest, S. 100 ff.; Grajetzki, W. (2008): Das Ende der christlich-nubischen Reiche. In:<br />

Internet-Beiträge zur Ägyptologie und Sudanarchäologie, Bd. 10, Das Ereignis – zum Nexus von<br />

Struktur- und Ereignisgeschichte, S. 1-8, S. 7.<br />

44 Siehe z.B. Khazanov, A. (1984): Nomads and the Outside World, Cambridge University Press:<br />

Cambridge; Leder, S. / Streck, B. (2005): Shifts and Drifts in Nomad-Sedentary Relations, Reichert<br />

Verlag: Wiesbaden; Marx, Political Economy.<br />

45 Vgl. Marx: Political Economy, S. 84-87.<br />

46 Siehe auch al-Maqrizi: Suluk, S. 777, 789.<br />

47 Für Beduinen des 20. Jahrhunderts werden Zeltgruppen unterschiedlicher Größe beschrieben. Die<br />

Angaben variieren zwischen 10 und 200 Personen. Vgl. Cole, D. (1975): Nomads of the Nomads.<br />

The Al Murrah Bedouin of the Empty Quarter, AHM Publishing Corporation: Arlington Heights,<br />

S. 63; Müller-Mahn, H.-D. (1989): Die Aulad ‘Ali zwischen Stamm und Staat. Entwicklung und<br />

sozialer Wandel bei den Beduinen im nordwestlichen Ägypten, Dietrich Reimer Verlag: Berlin,<br />

S. 100 f.<br />

48 Eine ähnliche Beobachtung findet sich bei Herzog, R. (1969/70): Das Verhalten der Nomaden in<br />

der Naturkatastrophe. In: Zeitschrift für praktische Psychologie, Bd. 5, Jg. 9/10, S. 222-228, S. 223.

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