Katastrophen machen Geschichte - oapen
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Phönix und Mnemosyne<br />
in Regionen, die wenige Jahrzehnte zuvor noch als hoch riskant angesehen worden<br />
waren.<br />
Dass die Natur zum Casino geworden sei, ist die These des amerikanischen<br />
Wirtschaftswissenschaftlers und Bestsellerautors Michael Lewis. In einem<br />
aufsehenerregenden Beitrag für das New York Times Magazine konnte er 2007<br />
zeigen, dass die finanziellen Risiken, die mit der Versicherung gegen<br />
Naturkatastrophen verbunden sind, im Vergleich zu den Schwankungen, denen die<br />
globalen Wirtschaftsmärkte ausgesetzt sind, eher geringfügig erscheinen. Der<br />
Schaden, den Naturkatastrophen potenziell anrichten, lässt sich erstaunlicherweise<br />
relativ exakt kalkulieren. So haben zum Beispiel die großen US-amerikanischen<br />
Versicherungsgesellschaften errechnet, wie hoch die Verluste infolge des<br />
verheerenden Hurrikans, der 1926 Miami getroffen hat, heute ausfallen würden.<br />
Die niedrigsten Prognosen liegen bei etwa 63, die höchsten bei 106 Milliarden<br />
Dollar. „Next to what Wall Street investors tried to predict every day, natural<br />
disasters seemed”, wie Lewis hervorhebt, „almost stable”. „[A]fter all, how<br />
accurate were the models that forecast the likelihood that Enron would<br />
collapse?” Die komplexe Versicherungsgeschichte von Naturkatastrophen, die<br />
bislang nur in Ansätzen erforscht ist, zeigt für die USA, dass Naturkatastrophen<br />
immer stärker in die Finanzmärkte integriert werden. Als Investor am<br />
<strong>Katastrophen</strong>roulette teilzunehmen, zahlt sich scheinbar aus, da die Risiken<br />
kalkulierbar erscheinen. Da überdies auch die US-Bundesregierung<br />
Kompensationen übernimmt, wo private Versicherer nicht mehr zahlen können,<br />
wird es immer lukrativer und zunehmend weniger riskant, „im Casino der Natur“<br />
(Lewis 2007) auf <strong>Katastrophen</strong> zu setzen und in <strong>Katastrophen</strong>gebieten zu siedeln.<br />
6 Mnemosyne – Erinnerungszeiten, Erinnerungsräume,<br />
Erinnerungsfiguren<br />
Die Erinnerung an <strong>Katastrophen</strong>, zumal an solche, die von kurzer Dauer sind –<br />
Vulkanausbrüche etwa im Gegensatz zu Dürrekatastrophen – ist in aller Regel<br />
kurzlebig. Wenige Monate nach Hurrikan Katrina wurde in der nationalen<br />
Berichterstattung der USA nicht mehr über die verheerende Katastrophe berichtet,<br />
obwohl das Desaster die soziale Physiognomie von New Orleans auf Jahrzehnte<br />
hinaus verändert hat. So hoch die Wellen emotionaler Anteilnahme nach Desastern<br />
wie Hurrikan Katrina oder nach dem Seebeben 2004 im Indischen Ozean in aller<br />
Welt auch schlagen mögen, so schnell verebben sie auch wieder. Erinnerung hat<br />
per se eine zeitliche Dimension. Neben der zeitlichen kommt ihr aber auch eine<br />
räumliche Dimension zu. Das Epizentrum der Katastrophe ist auch das<br />
Epizentrum der <strong>Katastrophen</strong>erinnerung. Dort, wo die Schäden und die<br />
existenzielle Betroffenheit am größten sind, hält, jedenfalls potenziell, die<br />
Erinnerung an die <strong>Katastrophen</strong> am längsten vor. An den <strong>Katastrophen</strong>orten<br />
finden sich die tiefsten Spuren der Zerstörung; dort finden Hilfsaktionen statt,<br />
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