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c't magazin für computer technik 24/2013 - since

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öten Sie mich!"TDie junge Frau vor mir löst ihren Blick vonihrem Schreibtisch und lächelt mich an. "Wiemöchten Sie denn sterben?", fragt siefreundlich."Herzinfarkt. Im Bett. Zu Hause", kommtmeine Antwort. Kurz und knapp.Sie macht ein paar Gesten und studiertdie Datenvisualisierungen, die über ihremSchreibtisch schweben. "Ich fürchte, dasgeht nicht. Ihnen fehlt die medizinische Indikation.Die Wahrscheinlichkeit, dass Sieeinen Herzinfarkt bekommen, liegt unterzwanzig Prozent.""Dann eben Autounfall."Sie sieht mich mitleidig an. "Das gehtschon lange nicht mehr. Der letzte tödlicheVerkehrsunfall liegt mehr als acht Jahrezurück.""Dann irgendwas. Hauptsache tot."Schweigend zupft sie an ihren Grafikenherum. Ich ahne, was sie gleich sagen wird."Ich fürchte, das wird nicht so einfach. Füreine plötzliche Krankheit sind Sie zujung und gesund. Für einen Unfall müsstenSie wenigstens eine Extremsportart betreiben.Radfahren zählt nicht. Das ist viel zusicher.""Wie wäre es mit Sturz aus dem fünftenStock beim Fensterputzen?", schlage ich zaghaftvor.Sie seufzt. "Hören Sie, Herr Watzinger. Esmuss plausibel sein. Bei Ihnen putzt schonseit Jahren der Hausroboter. Das kriegen wirnie und nimmer durch."Ein paar Minuten später weiß ich,dass im Jahr durchschnittlich siebenMenschen von Haien getötet,aber hundertfünfzig vonKokosnüssen erschlagen werden.Weltweit enden übereinhundertzwanzigtausendSchlangenbisse tödlich, aberin Deutschland ist das zu unwahrscheinlich.Ich fa nge anzu verzweifeln. Nicht mal sterbenkann man mehr. Kein Wunder,dass ich Depressionen habe."Aber es muss doch eine Möglichkeitgeben", sage ich niedergeschlagen.Sie strahlt mich an. "Die gibt es, Herr Watzinger.Bei uns sind Sie genau richtig. Wirhaben für alles eine Lösung. Vor drei Jahrenhatten wir einen ähnlichen Fall. Wir habendem Kunden geraten, mit Klettern zu beginnen.Während er die Kurse besuchte, habenwir eine Karabinerhakenfabrik in Burkina Fasogegründet. Nach zwei Jahren war er so weit,-g dass er zum ersten Mal in der wilden Natur anE einer echten Felswand klettern durfte.8 Zufälligerweise benutzte er dafür einen§- Karabinerhaken aus dieser Fabrik. Dort ist bei der Produktion ein Insekt in die Stahlschmel­ ze gefallen. Er benutzte ausgerechnet den§ Karabinerhaken, in dem der Käfer eingegos­ sen war. Genial, oder?"'Q "Mag sein. Aber ich kann keine zwei Jahre. warten."-= ",ch verstehe", sagt sie einfühlsam. "Dasmit dem Karabinerhaken können wir sowiesonicht wiederholen. Nach dem Unfall habendie Behörden sofort die Produktionsvorschriftengeändert. Der Stahl für Karabinerhakenmuss jetzt im Reinraum gegossenwerden. Weltweit."Ihr Lächeln ist wieder da. "Für Sie hätte ichwas ganz Besonderes. Sie verabreden sich miteinem Freund zu einer dreitägigen Fahrradtour.Am ersten Tag stürzen Sie und holen sicheine Schürfwunde am Bein. Es siehtharmlos aus. Also fahren Sie weiter.Nach ein paar Stunden wird darauseine Blutvergiftung. Sie radelnweiter bis zum nächstenArzt. Jetzt ist Ihr Zustand schonkritisch. Deshalb gibt er Ihneneine volle Ladung Antibiotika.Am nächsten Abend treffenSie andere Radler in der Kneipe.Sie dürfen keinen Alkohol trinken.Ihr Freund und der Wirt wissen das. Deshalbtrinken Sie alkoholfreies Bier. Die anderenstört das nicht. Später steigt die Stimmungund es wird auf Ex getrunken. Sie greifen ausVersehen zu normalem Bier. Ihnen wird übelund Sie müssen zur Toilette. Dem anderen,der Ihr alkoholfreies getrunken hat, wirddavon auch schlecht. Er folgt Ihnen. Die Toiletteist im Keller. Der andere ist hinter Ihnen,stolpert, reißt Sie die Treppe runter - und Siebrechen sich das Genick. Das hört sich dochvollkommen plausibel an, oder?""Hört sich kompliziert an. Haben Sie sichdas ausgedacht?""Ja", sagt sie stolz.Ich frage mich, nach welchenKriterien dieser Dienstleister seineKundenberaterinnen einstellt."Wann findet das statt?""Das geht relativ schnell. lnsechs Monaten können Sieschon sterben.""Sechs Monate sind ganzschön lang. Eigentlich hatteich vor, das noch heute Abendüber die Bühne zu bringen.""Heute noch?", fragt sie mitgroßen Augen. "Völlig unmöglich.Wenn wir der Sache die höchste Prioritäteinräumen, schaffen wir es vielleicht in viereinhalbMonaten. Aber schneller geht's wirklichnicht."Achtzehn lange Wochen. Ich bin mir nichtsicher, ob ich das durchhalte. Ich denke anmeine Frau und die Kinder. Das gibt mir neueKraft. "Also gut. Was kostet das?""Sie haben wirklich Glück. Wir haben Aktionswochen.Wenn Sie heute noch abschließen,bekommen Sie dreißig Prozent Rabattauf den Listen preis. Das macht zweihundertsiebzigtausendEuro."Ich bin geschockt. Die Erkenntnis fährt wieein Blitz durch meinen Körper. Mein Herzsetzt für ein paar Schläge aus und alles drehtsich um mich. Mir wird schwindlig und ichmuss mich setzen. "So viel habe ich nicht",flüstere ich schwach. "Hätten Sie nicht eineMillion sagen können? Dann hätte ich vielleichthier an Ort und Stelle einen Herzinfarktbekommen."Die Frau dreht und schiebt irritiert anihren Daten. "Nein. Sie müssen sich irren. Siebekommen keinen Herzinfarkt. Selbst beizehn Millionen nicht. Tut mir leid.""So so, leid tut es Ihnen. Das hilft mir auchnicht weiter. Haben Sie nichts Günstigeres?"Sie sieht mich an und schüttelt den Kopf."Günstiger geht es leider nicht. Das ist sowiesoschon ein Sonderpreis. Bedenken Sie mal,was wir alles tun müssen. Wir müssen nichtnur den Unfall inszenieren, sondern dieDatenbanken sämtlicher Überwachungskamerashacken. Dann müssenwir noch die Dashcams allereventuell vorbeifahrenden Autosund die Augmented-Reality­Datenbrillen aller Passanten undBeteiligten manipulieren. Ganz zuschweigen von den Drohnen, dieständig irgendwo in der Luft sind. Siewollen bei der Sache ja nicht wirklich sterben.Es soll für die Behörden nur so aussehen,damit Ihre Frau die Lebensversicherung kassierenkann ... ""Wie kommen Sie denn da drauf?", frageich verwundert."Das geht aus Ihren Daten hervor. Und ausder Tatsache, dass Sie hier sind. Daraus hatunser Algorithmus für die Verhaltensprognoseeine Wahrscheinlichkeit von zweiundneunzigProzent ermittelt. - Keine Angst, daswerden wir neutralisieren. Die Behördenwerden davon nichtsmitkriegen. - Wo war ich?Ach ja. Sie brauchen natürlichnoch eine neue Identität.Die müssen wir lückenlos,von Geburt an, mit Ereignissenund Einträgen in die sozialenMedien bestücken.""Ich dachte bei Facebook und Google+gibt's genügend Timelines von Verstorbenenfür so was.""Ja, natürlich. Sonst könnten wir das garnicht machen. Aber die gibt es auch nichtumsonst."Mittlerweile ist mir alles egal. Ich nehmemeinen ganzen Mut für einen letzten Versuchzusammen. "Was kostet es, für sechsStunden zu verschwinden?"Die Frau wischt die Diagramme und Bilderweg. Dann zaubert sie mit ein paar Gestenandere in die Luft. "Zahlen Sie mit Geldkarte?"Ich nicke."Dreißigtausend Euro. Das beinhaltet eineeinmalige Gebühr von zweiundzwanzigtausendfür eine temporäre Identität."Langsam fä ngt sie an, mich zu nerven. "Ichbrauche keine temporäre Identität. Ich willnur für sechs Stunden verschwinden undmeine Ruhe haben."Irritiert sieht sie mich an. "Ohne Identitätkommen Sie nirgendwo rein. Keine Tür öffnetsich. Kein Verkehrsmittel wird Sie transportieren.Niemand wird Sie beachten. Siesind ein Geist. Unsichtbar."Endlich versteht sie mich. "Genau das willich."Sie zögert einen Moment. Dann lenkt sieein. "Das macht zehntausend Euro."<strong>c't</strong> <strong>2013</strong>, Heft <strong>24</strong>267

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