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c't magazin für computer technik 24/2013 - since

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Ich beginne an meinen Rechenkünsten zuzweifeln. "Sollten es nicht achttausend sein?"Sie schüttelt den Kopf. "Achttausend istfür die Dienstleistung. Dazu kommt noch dieVerwaltungsgebühr."Ich gebe mich geschlagen. "Wann fä ngtdas an?""Sobald Sie unser Büro verlassen."Ich bezahle. Beim Hinausgehen ruft sie mirnoch zu. "Ach übrigens. Sie sind nie hier gewesen.Sämtliche Aufzeichnungen überIhren Besuch bei uns wurden gelöscht. Siehaben die ganze Zeit auf der Parkbankgegenüber gesessen."Erst nach einer Weile merke ich, was esheißt, seine Ruhe zu haben. Keine hektischanimierte vierdimensionale Werbung springtmich an. Niemand labert mir aufdringlich dieOhren voll, was ich alles versäume und wieviel Geld ich sparen kann, wenn ich dies oderjenes kaufe.Früher bestanden hier die Fassaden hauptsächlichaus Schaufenstern. Man konnte reinschauenoder vorbeigehen. Heute geht dasnicht mehr. Jeder wird identifiziert und dannmit personalisierter Werbung zugedröhntBei mir nicht. Die Programme von "PersonalData Tuning" sorgen dafür, dass ich nichtidentifiziert werden kann. Die Animateureauf den Videowänden beachten mich nichtund die drahtlosen Dienste lassen mich ungestörtdurch ihre elektromagnetischen Felderschreiten. Der Aufwand dafür muss riesigsein. Alle sammeln und verarbeiten Daten.Privatleute, die Wirtschaft, die Polizei, derStaat und die Geheimdienste.Niemand kann lange anonym bleiben.Personen können nicht nur über ihr Gesichtidentifiziert werden, sondern auch überihren Gang und die Körperhaltung. Oderüber die RFIDs in ihrer Kleidung. Ich hoffe,dass die Leute von "PDT" ihr Handwerk verstehen.Ich brauche wenigstens ein paarStunden Ruhe, damit ich die Sache erledigenkann.Was es heißt, ein Geist zu sein, erfahre ich,als ich versuche, eine Kneipe zu betreten. DieTür öffnet sich nicht. Ich gehe weiter. AlleLäden bleiben zu. Ins Spielkasino komme ichsowieso nicht rein. Selbst an der Pommesbudewerde ich nicht bedient. Was ist das füreine Gesellschaft, in der man nicht mal eineCurrywurst anonym kaufen kann? Der Gedankegibt mir den Rest. Mein Entschlusssteht fest. Plötzlich bin ich an der Brücke. Ichblicke nach unten. Es hat seit Monaten nichtgeregnet. Das Wasser ist höchstens dreißigZentimeter tief. Nach unten sind es mindestenszwanzig Meter. Das reicht.Ich nehme eine Laterne als Aufstiegshilfeund stelle mich auf das Geländer. Autos undPassanten ziehen vorbei, ohne mich zu beachten.Ich lausche. Keine Polizeisirene. Ichblicke zum Horizont. Die von PDT sind wirklichgut. Jetzt im Moment müssen sie mich inEchtzeit aus allen Videokameras herausschneiden.Nur wer keine Datenbrille trägt,könnte mich sehen. Offensichtlich hat jedereine. "Augmented Reality" einmal andersherum. "Decreased Reality" sozusagen.Ich höre Schritte. Dem Klang nach ist eseine Frau mit hohen Absätzen. Sie bleibtneben mir stehen. Ich seufze. Bestimmt hatsie ihre Datenbrille vergessen. Ich drehemich zu ihr um. Es ist die Kundenberaterinvon PDT. Hier draußen fä llt mir auf, wiehübsch sie ist. Genau mein Typ.Sie sieht aus, als käme sie geradewegs voneinem Galadinner. Ein hinreißender Farbklecksauf dem tristen Grau der Brücke. Eine kalteWindbö zerzaust ihr Haar und fä hrt unter denDesignermanteL Für die Jahreszeit ist das Kleidungsstückeindeutig zu kurz. Sie zittert. Mitbeiden Händen greift sie nach dem Stoff undzieht ihn enger um sich. Sie blickt zu mir hoch."Warten Sie Herr Watzinger", ruft sie. "Siemüssen das nicht tun. Es gibt für alles eineLösung.""Die Lösung für mein Problem kann ichmir nicht leisten."",st es wegen des neuen Urheberrechtegesetzes,das nächste Woche in Kraft tritt?",fragte sie.Natürlich ist es deswegen. Das Gesetz erlaubtes den Behörden, direkt in mein Gehirneinzugreifen. Deswegen will ich ja verschwinden.Für immer. Eine neue Identitätreicht nicht. Solange der alte Watzinger nichttotgemeldet ist, wird die Polizei nie aufhören,nach mir zu suchen.Aber ich kann mir einen inszenierten Todnicht leisten. Wieso lässt die Frau mich nichtin Ruhe? Immerhin habe ich zehntausendEuro dafür bezahlt. "Das geht Sie nichts an.Verschwinden Sie und lassen Sie mich meinProblem selbst lösen."Sie rührt sich nicht vom Fleck. "Sie habenein fotografisches Gedächtnis, nicht wahr?"Die von PDT scheinen wirklich alles zu wissen.Ich muss an die zertifizierte E-Mail derDatenschutzbehörde denken. Darin wird mirmitgeteilt, dass ich kein Recht habe, urheberrechtlichgeschützte Inhalte aufzuzeichnen.Ob mit oder ohne technische Hilfsmittelspielt keine Rolle. Ich habe sicherzustellen,dass ich mir keine Filme, Musikvideos oderdergleichen merken kann. Die Lobbyistenhaben ganze Arbeit geleistet."Woher wissen Sie das?", frage ich, obwohlich die Antwort kenne."Aus der Analyse Ihrer Daten. Wir könnenLeute wie Sie gebrauchen.""Wofür?""Sie können unbemerkt Aufzeichnungenmachen. Speziell dort, wo es verboten ist."Ich ahne, worauf sie hinaus will. Sie wollenmit den neuen Gedankenscannern meine Erinnerungenauslesen und als Video abspeichern."Wie heißen Sie?""Eiomine Winter." Sie macht eine Pauseund sieht mich an. "Na los, kommen Sie schonrunter. Ich weiß, dass Sie das interessiert. Mirist kalt. Wollen Sie, dass ich hier erfriere?""Für wen arbeiten Sie?""Wir kämpfen für informelle Selbstbestimmung.Für das Recht auf persönliche Daten,die niemand ungefragt einsehen kann. Fürdas Recht, Gedanken zu denken, die niemandlesen darf. Für Privatsphäre. Für EdwardSnowden. Für die Freiheit. Dafür brauchenwir Leute wie Sie. Agenten, die Beweiseliefern können, dass Menschen durch restriktiveGeheimhaltungsverpflichtungen darangehindert werden, ihre Rechte durchzusetzen.Beweise, wenn der Staat übertriebeneGewalt anwendet. Beweise, wenn Menschenfalsch beraten werden. Leute, die die Lückenfüllen können, wenn Dokumente geschwärztoder Szenen aus Videoaufzeichnungenherausgeschnitten wurden. Personen, dieBelege liefern können, dass Daten manipuliertwurden. Egal von wem."Sie streckt mir die Hand entgegen. Ichnehme sie und steige herab. ln diesem Momenthält ein schwarzes SUV neben uns. Elomineerstarrt. Ich wage nicht, mich zu rühren.Ihre kalte Hand drückt meine ganz fest. Nachkurzer Zeit fährt das SUV weiter. Elomine entspanntsich und lächelt zufrieden."Was ist passiert?", frage ich."Du bist soeben gestorben. Ab jetzt heißtdu Leon Winter. Willkommen bei AntiPRISM."Sie hakt sich bei mir unter und geht los. "ÜbrigensLeon, wir sind verheiratet. Aber das istnichts Persönliches. Nur zur Tarnung."Meine neue Frau ist eine schlechte Lügnerin.Natürlich ist es persönlich. Ich wette, siehat das von Anfang an geplant. So wie allesandere auch. "Wie bin ich gestorben?""Die Männer in dem SUV waren betrunken.Sie haben mich am Straßenrand gesehenund wollten mich entführen. Du hastversucht, sie daran zu hindern. Einer hat dichniedergestochen. Sie haben mich und deineLeiche mitgenommen. Mich, weil sie ihrenSpaß mit mir haben wollten, und dich, damitkeine DNA-Spuren zurückbleiben. Die Polizeiwird deine sterblichen Überreste nie finden.Aber es gibt genügend Augenzeugen, diegesehen haben, dass du gestorben bist. Dubist jetzt frei."Mit dieser Story hat Roy O'Finniganden in <strong>c't</strong> 18/20 13 ausgeschriebenenSchreibwettbewerb gewonnen; mehrdazu auf Seite 14.cf268<strong>c't</strong> <strong>2013</strong>, Heft <strong>24</strong>

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