12.07.2015 Aufrufe

De - BASS

De - BASS

De - BASS

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

173Quelle: Cunha et al. (1995, 200)UmdeutungEine verbreitete Strategie der Identitätswahrung ist die Umdeutung der eigenen Situation. Inverschiedenen Untersuchungen wurde festgestellt, dass nur ein kleiner Teil der Armen sichselbst auch als arm einstuft (Busch-Geertsema/Ruhstrat 1991, Cunha et al. 1995, Gillioz etal. 1991, Hanesch et al. 1994, Mäder 1994). Gefragt, wie sie ihre Situation beschreibenwürden, benutzten nur zehn Prozent der Frauen in der Genfer Studie das Wort Armut (Gilliozet al. 1991, 26). Die anderen wählten Umschreibungen wie «bescheidene Situation» (29Prozent), «dauerhafte Schwierigkeiten» (24 Prozent), «sehr bescheidene Situation» (19Prozent) oder «vorübergehende Schwierigkeiten» (18 Prozent). Man vergleicht sich mit anderenund kann so vermeiden, sich ganz unten auf der sozialen Leiter plazieren zu müssen.Dabei verwenden die Armen selbst einen Begriff der absoluten Armut: arm ist, wer kein Dachüber dem Kopf und nichts zu essen hat, arm sind die Hungernden in der Dritten Welt o.ä."Na ja, als arm würde ich mich nun gerade noch nicht bezeichnen. Unter Armut stelle ich mir vor, dassman von einem Tag auf den anderen nicht mehr weiss, ob man was zu essen hat oder nichts. Also, so armbin ich noch nicht. Bis jetzt habe ich immer noch was zu essen." (alleinerziehende Frau in Hanesch et al.1994, 307)Um sich von Armut zu distanzieren, übernehmen einige Arme paradoxerweise die Strategieder sozialen Stigmatisierung, von der sie selbst betroffen sind. Sie distanzieren sich von den«unwürdigen» Armen, die auf Kosten der Allgemeinheit von Sozialhilfe leben und betrachtensich als «Ausnahmefall».Boettner/Tobias (1991) interpretieren diese offensive Absetzung von den «wirklich» Armenals Teil einer Bewältigungsstrategie, die sie "häuslich-familiäre Konsolidierung" nennen. 111Charakteristisch für die häuslich-familiäre Konsolidierung ist das Bemühen um Normalität inFamilien, die durch verschiedene Problemkonstellationen Phasen extremer Armut erlebthaben und dann einen Neuanfang auf einem zwar tiefen, aber verglichen mit der Zeit derschlimmsten Krise erträglichen Niveau schaffen. Eine Konsolidierung der finanziellen Situationwird durch eine eiserne Disziplin im Umgang mit dem mageren Budget (bei allen: Sozialhilfe)erreicht. Tragende Figur dieser Bewältigungsstrategie ist deshalb die Frau, die diealltägliche Lebensführung organisiert, während der Beitrag der Männer vor allem im Unterlassenvon früherem Fehlverhalten besteht (Alkoholismus, Schuldenmachen o.ä.). Um dieFiktion der Normalität aufrechtzuerhalten, die u.a. auch die «Ernährerrolle» umfassen würde,gestalten einige Männer die Schwarzarbeiten, die sie zwischendurch ausüben, wie einnormales Arbeitsverhältnis mit festen Arbeitszeiten, Pausen und Feierabend, auch wenn sieobjektiv unterbeschäftigt sind. Die untersuchten Familien beschränken ihren Aktionsradiusauf die unmittelbare Nachbarschaft und bewegen sich kaum aus diesem verarmten Quartierhinaus. Diese Verengung des kulturellen Erfahrungsraums erlaubt ihnen die positive Ab-111 Es handelt sich um eine kleine qualitative Studie über die Lebenssituation und Bewältigungsstrategien ineinem veramten Stadtquartier von Duisburg. Neben Beobachtung und ExpertInnengesprächen wurden auch15 qualitative Interviews mit Armen durchgeführt.B A S S • B ü r o f ü r a r b e i t s - u n d s o z i a l p o l i t i s c h e S t u d i e n

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!