Jahresgutachten 1987/88 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...
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Drucksache 11/1317 Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode<br />
TEILS<br />
Zu den Politikbereichen im einzelnen<br />
I. Finanzpolitik:<br />
Vor zunehmenden Schwierigkeiten<br />
275. Zur Stärkung des Wirtschaftswachstums hat die<br />
Finanzpolitik einen wichtigen Beitrag zu leisten. Bislang<br />
wird die Entfaltung der Wachstumskräfte durch<br />
Volumen und Struktur der öffentlichen Haushalte behindert.<br />
Werden hier Veränderungen vorgenommen,<br />
können die Rahmenbedingungen tür die deutsche<br />
Volkswirtschaft auf zweifache Weise verbessert werden.<br />
Zunächst müssen diejenigen Regelungen abgebaut<br />
werden, die dem Willen zu wirtschaftlichen Leistungen<br />
entgegenwirken. Zu diesen wirtschaftlichen Leistungen<br />
gehören nicht nur die Arbeit, insbesondere<br />
die schöpferische Initiative, sondern vor allem auch<br />
die Bereitschaft, Risiken zu tragen. Das Verhältnis von<br />
Leistungsanreizen und Risiko auf der einen Seite, Anstrengung<br />
oder Freizeitopfer auf der anderen darf<br />
durch die Steuerbelastung nicht empfindlich gestört<br />
werden, und das gilt für die Bezieher hoher Einkommen<br />
ebenso wie für die Menschen, die nur ein mittleres<br />
oder gar ein kleines Markteinkommen erwirtschaften<br />
können. Deren Leistungsbereitschaft kann<br />
allerdings auch dann gemindert werden, wenn andere,<br />
die keinen Beitrag <strong>zur</strong> Wertschöpfung erbringen,<br />
von staatlichen Unterstützungen kaum schlechter<br />
leben als jene. Es gilt mithin, das Steuerrecht und<br />
das Sozialrecht so zu koordinieren, daß dies vermieden<br />
wird, und bei der Steuerreform geht es nicht allein<br />
um eine Senkung der Steuerlasten, weil das Wachstumsziel<br />
auch bei der Verteilung der unvermeidlichen<br />
Belastungen auf die Bürger nicht aus den Augen gelassen<br />
werden darf.<br />
Sodann muß das Feld für die rentable Produktion in<br />
den Unternehmungen wieder erweitert werden; denn<br />
die Mittel, die der Staat <strong>zur</strong> Erfüllung seinerAufgaben<br />
einsetzt, müssen nicht zuletzt von den gesunden Unternehmen<br />
aufgebracht werden. Diese Behinderung<br />
läßt sich abbauen, wenn die auf den Investitionen<br />
lastenden Steuern - direkt oder indirekt über Tarifänderungen<br />
- gesenktwerden (Ziffer 289), die Situation<br />
bessert sich jedoch kaum, wenn der Staat die<br />
Steuerausfälle durch eine dauerhafte Erhöhung der<br />
Nettokreditaufnahme zu kompensieren sucht, weil<br />
dadurch tendenziell steigende Zinsen verursacht und<br />
private Investitionen <strong>zur</strong>ückgedrängt werden. Die<br />
Aussichten für die weitere Wirtschaftsentwicklung<br />
können sich auch dadurch verschlechtern, daß sich<br />
möglicherweise inflatorische Prozesse entwickeln.<br />
Schließlich wächst die Unsicherheit bei den Unternehmern,<br />
wenn die Kreditfinanzierungsquote, also<br />
das Verhältnis der Nettokreditaufnahme zum Produktionspotential,<br />
dauerhaft steigt, weil sie dann befürchten<br />
müssen, daß die Steuerlasten wieder erhöht werden.<br />
Aus diesem Grunde genügt es-nicht, die Steuern zu<br />
senken: Soll Raum für mehr rentable Investitionen<br />
gewonnen werden, soll Qie Chance für eine Kräftigung<br />
des Wirtschaftswachstums eröffnet werden, so<br />
muß die Steuersenkung von einer Rückführung der<br />
Staatsquote, das heißt des Verhältnisses der Staatsausgaben<br />
zum Produktionspotential, begleitet sein.<br />
Dabei genügt es nicht, den Zuwachs der öffentlichen<br />
Ausgaben zu begrenzen; vielmehr muß auch deren<br />
Struktur den wachstumspolitischen Zielen angepaßt<br />
werden. Subventionenfür die kranken Unternehmungen<br />
bewirken nicht nur, daß zu ihrer Finanzierung<br />
den gesunden Unternehmungen überhöhte Steuerlasten<br />
auferlegt werden müssen; sie verzerren auch<br />
den Wettbewerb auf Gütermärkten wie auf Arbeitsmärkten<br />
und verhindern auf diesem Wege, daß eine<br />
überlebte Wirtschaftsstruktur verb~ssert werden<br />
kann.<br />
Man mag es drehen und wenden, wie man will: Eine<br />
Senkung der Staatsquote ist für eine wachstumsfreundliche<br />
Finanzpolitik unumgänglich, weil nur<br />
durch eine Rückführung der Steuerlasten und eine<br />
Verbesserung der Haushaltsstruktur versucht werden<br />
kann, gleichzeitig die Hemmnisse für die Leistungsbereitschaft<br />
abzuhauen und die Voraussetzungen für<br />
Investitionen zu verbessern.<br />
276. Das Wirtschaftswachstum zu kräftigen, ist auch<br />
das erklärte Ziel der deutschen Steuerpolitik. Die beschlossenen<br />
Neuregelungen und die sich abzeichnenden<br />
weiteren Schritte ~ind jedoch nicht konsequent<br />
auf diese Vorgabe ausgerichtet. Diejenigen Regelungen<br />
des Steuersenkungsgesetzes 1986/19<strong>88</strong>, die im<br />
Jahre 19<strong>88</strong> wirksam werden, sowie die Regelungen<br />
des Steuersenkungs-Erweiterungsgesetzes 19<strong>88</strong> entlasten<br />
die Bürger um insgesamt mehr als 13 112<br />
Mrd DM. Für das Jahr 1990 ist eine Steuerreform mit<br />
einem Gesamtvolumen von mehr als 39 Mrd DM vorgesehen,<br />
von denen knapp 20 Mrd DM auf eine echte<br />
Steuersenkung entfallen, während die restlichen rund<br />
19 Mrd DM im wesentlichen durch den Abbau von<br />
Steuervergünstigungen, also durch eine Änderung<br />
der Steuerstruktur, aufgebracht werden sollen. Insbesondere<br />
erscheint das Hauptziel der vorgesehenen<br />
Änderungen, nämlich den scharfen Anstieg der<br />
Grenzsteuersätze im direkt progressiven Bereich des<br />
gegenwärtigen Einkommensteuertarifs durch den<br />
Übergang zu einem linear-progressiven Tarif abzubauen,<br />
geeignet, die demotivierenden Wirkungen einer<br />
progressiven Einkommensteuer zu mildern. Ein<br />
Großteil der übrigen Maßnahmen ist aber verteilungsorientiert;<br />
von ihnen können keine Impulse für die<br />
Hebung der Leistungshereitschaft erwartet werden.<br />
Außerdem ist eine Reihe wachstumspolitisch dringend<br />
gebotener Änderungen des Steuerrechts nicht<br />
eingeleitet worden.<br />
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