Jahresgutachten 1987/88 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...
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Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode Drucksache 11/1317<br />
graphischen Entwicklung bestimmt wie von den Beitragsleistungen<br />
des Versicherten. Wegen des ungünstigen<br />
Bevölkerungsaufbaus wird sich das Verhältnis<br />
der Beitragszahlungen zu den späteren Rentenleistungen<br />
im Laufe der nächsten Jahrzehnte für den<br />
einzelnen immer ungünstiger gestalten. Ein solcher<br />
Zusanunenhang zwischen den einkommensabhängig<br />
erhobenen Zwangsbeiträgen und dem Umfang der<br />
Versicherungsleistungen besteht kaum noch bei den<br />
gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) , weil<br />
Krankengeldzahlungen keine nennenswerte Rolle<br />
mehr spielen und die Versorgung mit Gesundheitsleistungen<br />
vom Bedarf (und damit insbesondere von der<br />
FamiIiengröße), nicht aber von den Beitragszahlungen<br />
abhängt. Innerhalb der _Solidargemeinschaft"<br />
findet eine Umverteilung statt, die unkoordiniert neben<br />
den übrigen redistributiven Maßnahmen der Finanzpolitik<br />
abläuft.<br />
Die Ansicht, daß die Beiträge <strong>zur</strong> Sozialversicherung<br />
weitgehend steuerähnlich wirken, erscheint deshalb<br />
wohlbegründet. Eine auf die Stärkung der Wachstumskräfte<br />
gerichtete Finanzpolitik und Sozialpolitik<br />
darf somit ihr Augenmerk nicht nur auf die marginalen<br />
Steuerlasten richten; sie muß vielmehr die marginale<br />
Abgabenlast beachten, die sich aus der Gesamtbelastung<br />
des einzelnen durch Steuern und Sozialversicherungsbeiträge<br />
ergibt. Insbesondere sollte vermieden<br />
werden, daß die von den Steuerrefonnschritten<br />
19<strong>88</strong> und 1990 ausgehende Entlastung der Bürger<br />
durch eine Erhöhung der Beiträge <strong>zur</strong> Sozialversicherung<br />
konterkariert wird.<br />
306. Im <strong>Jahresgutachten</strong> 1985/86 haben wir "Wege<br />
zu einer Reform" der Gesundheitspolitik im Abschnitt<br />
_Wettbewerb und Marktöffnung" erörtert (JG 85 Ziffern<br />
358fl., zuvor bereits JG 83 ZiIIern 492fl., zuletzt<br />
JG 86 Ziffern 31911.). Wir haben unseren Blick damals<br />
vor allem auf die Bedeutung des Gesundheitswesens<br />
im Wirtschaftswachstum sowie auf die Möglichkeiten<br />
gerichtet, die Wirtschaftlichkeit bei der durch die<br />
GKV vermittelten Bedarfsdeckung zu erhöhen. Wir<br />
erneuern unseren Hinweis, daß das Gesundheitswesen<br />
ein zukunftsträchtiger Sektor ist, dessen Entwicklung<br />
nicht behindert werden darf, wenn der Wachstumspolitik<br />
Vorrang gegeben werden soll. Deshalb<br />
sind Kostendeckelungen und Marktzugangsbeschränkungen<br />
ungeeignete Instrumente für eine Sanierung<br />
der GKV. Durch eine Stärkung von Wettbewerbselementen<br />
im Gesundheitswesen sollte stattdessen<br />
versucht werden, auch in diesem Sektor die<br />
Bedarfsdeckung zu verbessern und zugleich ihre<br />
Wirtschaftlichkeit zu erhöhen. Eine unerläßliche Voraussetzung<br />
dafür, daß eine solche Reform gelingen<br />
kann, ist es, daß alle Beteiligten, nicht zuletzt die Patienten<br />
selbst, daran interessiert werden, die medizinische<br />
Versorgung wirtschaftlicher zu gestalten, als es<br />
bislang geschieht. Insofern ist es zu begrußen, daß die<br />
Bundesregierung für die <strong>zur</strong> Zeit diskutierte Refonn<br />
unter anderem ollenbar vorgesehen hat, Möglichkeiten<br />
für die pflichtversicherten Arbeiter etwas zu eröffnen,<br />
zwischen verschiedenen Kassen zu wählen, und<br />
daß sie außerdem die Absicht hat, die Selbstbeteiligung<br />
der GKV-Mitglieder namentlich beim Bezug<br />
von Arzneimitteln deutlich zu erweitern. Durch die<br />
vorgesehenen Neuregelungen soll eine Senkung des<br />
durchschnittlichen Beitragssatzes um etwa einen Prozentpunkt<br />
erreicht werden. Insoweit ist die beabsichtigte<br />
Refonn als erster Schritt in die richtige Richtung<br />
zu begrüßen.<br />
Die vorgesehene begrenzte Umstellung der finanzierung<br />
von Leistungen, die an die Mitgliede,r der GKV<br />
erbracht werden, ist auch insofern zu begrüßen, als<br />
auf diese Weise die marginale Abgabenbelastung der<br />
Versicherten gesenkt wird. Die Wirkungen der Steuerrefonn<br />
können durch diese Entlastung ergänzt werden.<br />
Die im Rahmen der Selbstbeteiligung von den<br />
Versicherten aufzubringendEm Beträge.sind von ihren<br />
Wirkungen auf die Leistungsbereitschaft her günstiger<br />
zu beurteilen als die ohne Rücksicht auf den Umfang<br />
der Gegenleistung in Abhängigkeit vom Einkommen<br />
steuerähnlich erhobenen Pflichtbeiträge.<br />
Was der Patient im Krankheitsfall beispielsweise für<br />
ein Medikament aufwendet, legt er in der Regel in der<br />
Erwartung an, daß der Nutzen aus diesem Erwerb größer<br />
sein wird als die Nutzeneinbuße aus der Zahlung.<br />
Mit der Beitragsleistung sind dagegen - wie bereits<br />
oben angedeutet - die Erwartungen eines solchen<br />
Vorteils nicht, zumindest nicht notwendig verbunden.<br />
307. Während es bei den GKV auf längere Sicht<br />
möglich sein dürfte, die Bürger schrittweise an eine<br />
stärker~Selbstbeteiligung zu gewöhnen und dadurch<br />
auch bei künftigen Fortschritten im Gesundheitswesen<br />
und weiter steigenden Kosten die Beiträge stabil<br />
zu halten oder gar zu senken, wird sich ein mehr oder<br />
weniger großer Anstieg der Beitragssätze bei den<br />
Trägem der gesetzlichen Rentenversicherungen<br />
kaum vermeiden lassen. Auf die Probleme, die sich<br />
aus dem demographischen Aufbau der Bevölkerung<br />
und aus dem geänderten Erwerbsverhalten für diesen<br />
Versicherungszweig ergeben, hat der Sachverständigenrat<br />
in früheren Gutachten hingewiesen und Anregungen<br />
für die notwendige Reform gegeben (JG 83<br />
Ziffern 484fl. und JG 86 Ziffern 310fl.). In der nächsten<br />
Zukunft wird eine Erhöhung der Beitragssätze<br />
bei der Rentenversicherung noch nicht notwendig<br />
werden. Das Prohlem scheint deshalb nicht aktuell zu<br />
sein, so daß viele glauben, sich mit den erforderlichen<br />
Refonnen Zeit lassen zu können; doch der Schein<br />
trügt.<br />
Verbreitet ist ollenbar die Erkenntnis, daß für die Sicherung<br />
der Rentenversicherung alle Bevölkerungskreise<br />
Opfer bringen müssen: die Beitragszahler, der<br />
Staat, das heißt - genau genommen - die Steuerzahler,<br />
und schließlich die Altersrentner. Zwar müssen<br />
nicht alle rentenversicherungspflichtigen Bürger<br />
Einkommensteuer (Lohnsteuer) zahlen, wie auch umgekehrt<br />
nicht alle Einkommensteuerzahler Beiträge<br />
<strong>zur</strong> Rentenversicherung entrichten, doch ist die<br />
Schnittmenge zwischen diesen heiden Personenkreisen<br />
außerordentlich groß, und in bezug auf den marginalen<br />
Abgabensatz und damit tendenziell auch im<br />
Hinblick auf die Leistungsbereitschaft wirken Einkommensteuererhöhungen<br />
und Erhöhungen der Rentenversicherungsbeiträge<br />
gleich. Die Möglichkeiten<br />
<strong>zur</strong> Finanzierung der aus demographischen Gründen<br />
in der ersten Hälfte des kommenden Jahrhunderts<br />
dramatisch ansteigenden Belastungen der Rentenversicherung<br />
durch höhere Steuern und höhere Beiträge,<br />
sind sehr begrenzt, willman das Wachstum durch eine<br />
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