Jahresgutachten 1987/88 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...
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Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode Drucksache 11/1317<br />
Der Weg, den die Stahl1ndustrie angesichts der jetzigen<br />
Krise einschlagen will, sieht - und dies ist das<br />
regionalpolitisch Brisante - einen drastischen Abbau<br />
von Kapazitäten, eine deutliche Bereinigung der Produktpalette<br />
und eine Konzentration auf weniger<br />
Standorte, also örtlich die Schließung ganzer Betriebe<br />
vor. Diesist mit einem Personalabbau von schätzungsweise<br />
35 000 Beschäftigteninoerhalb von zwei Jahren<br />
verbunden. Der überwiegende Teil der zu Entlassenden,<br />
wird über Sozialpläne abgefunden, die zu etwa<br />
einem Drittel vom Staat Zu finanzieren sind. insgesamt<br />
sollen 1,9 Mrd DM für diese Sozialpläne aufgebracht<br />
werden (Ziffern 377ff.). Frühpensionierung<br />
wird wegen der geringen Besetzung der in Frage<br />
kommenden Altersgruppen nur eine geringe Rolle<br />
spielen.<br />
114. Die seit vielen Jahren anhaltenden Absatzprobleme<br />
des Steinkohlenbergbaus haben sich als Folge<br />
des Ölpreisverfalls erneut zugespitzt. Zwar sind 1986<br />
und <strong>1987</strong> die Subventionen beträchtlich erhöht worden,<br />
mit denen für den Kohleabsatz an die Stahlindustrie<br />
und die Steinkohlenkraftwerke der öffentlichen<br />
Versorgung die Preisunterlegenheit gegenüber<br />
der Auslandskohle beziehungsweise dem schweren<br />
Heizöl zum größten Teil ausgeglichen wird; dennoch<br />
mußten.weitere beträchtliche Liefereinbußen hingenommen<br />
werden. Trotz des Abbaus von jährlich rund<br />
5 000 Arbeitsplätzen wurden seit letztem Jahr häufig<br />
für jeweils 70 000 bis 90 000 Bergarbeiter Freischichten<br />
eingelegt, ein Mittel, um den Beschäftigungsabbau<br />
zu verlangsamen. Eine Lösung, die gleichzeitig<br />
die Belastung der Steuerzahler und Stromkunden in<br />
Grenzen halten und die Schwierigkeiten der Montanregionen<br />
beheben könnte, ist nicht in Sicht.<br />
115. Alle Hoffnungen, den schon lang anhaltenden<br />
Schrumpfungsprozeß der deutschen Werften, der die<br />
Küstenregionen schwer belastet, mittels hoher Subventionen<br />
zu verlangsamen, waren bislang vergebens.<br />
Schon das Jahr 1986 war für die Werftindustrie<br />
von Entlassungswellen, Konkursen und dem generellen<br />
Rückzug aus dem Schiffbau gekennzeichnet. Im<br />
Laufe des vergangenen Jahres ist die Anzahl der Beschäftigteninden<br />
Werftenum4 500 auf 39000 gesunken.<br />
Gegenüber den sechziger Jahren ist dies ein<br />
Rückgang der Beschäftigung auf weniger als die<br />
Hällte. Auchin diesem Jahr ist keine Besserung abzusehen.<br />
In den ersten acht Monaten dieses Jahres hat<br />
die Anzahl der Beschäftigten um knapp 3 000 auf<br />
36 000 abgenommen.<br />
116. Der sich wieder beschleunigende Personalabbau<br />
in der Stahlindustrie, im Steinkohlenbergbau und<br />
im Schiffbau und der damit verbundene Beschäftigungsrückgang<br />
in den jeweiligen vor- und nachgelagerten<br />
Produktionsbereichen wird die ohnehin schon<br />
ungünstige Arbeitsmarktlage in den Montanregionen<br />
und an der Küste weiter verschärfen. Schon in diesem<br />
Jahr war in vielen dieser Arbeitsamtsbezirke eine Arbeitslosenquote<br />
von mehr als 13 vH zu konstatieren,<br />
im Vergleich zu 9 vH im Bundesdurchschnitt.<br />
Daß sich in diesem Jahr gleichwohl die regionalen<br />
Unterschiede der Arbeitslosigkeit kaum erhöhten, hat<br />
seinen Grund darin, daß die Beschäftigungsentwicklung<br />
im Investitionsgütergewerbe in den anderen Regionen<br />
der Bundesrepublik, vor allem im Süden, unter<br />
anderem wegen der vergleichsweise geringen Zunahme<br />
von Investitionenund Exporten gedämpfter als<br />
in den Vorjahren war (Tabelle 9).<br />
117. Die Konzentration des Interesses auf' die sogenannten<br />
Krisenbranchen suggeriert aflzu leicht, daß<br />
hierin die Hauptursache für die unbefriedigende Beschäftigungsentwicklung<br />
in diesem Aufschwung<br />
liege und deshalb hier auch die Lösung anzusetzen<br />
habe. Es wird dabei übersehen, daß es pisher in jeder<br />
Phase der wirtschaftlichen Entwicklung der Bundesrepublik<br />
Branchen mit schrumpfender Beschäftigung<br />
gegeben hat. In der zweiten Hällte der sechziger<br />
Jahre waren dies die Eisenschaffende Industrie, der<br />
Stahlbau, die Holzverarbeitung, die Leder-, Textilund<br />
Bekleidungsindustrie und nicht zufetzt auch der<br />
Bergbau. In den siebziger Jahren sahen sich der Büromaschinenbau,<br />
der Schiffbau, die Druckindustrie und<br />
nach wie vor die Leder-, Texti1- und Bekleidungsindustrie<br />
vor die Notwendigkeit des Personalabbaus gestellt.<br />
Auch das Tempo und das Ausmaß, in dem die<br />
Beschäftigung jeweils in diesen Bereichen <strong>zur</strong>ückgenommen<br />
worden ist, waren durchaus vergleichbar mit<br />
der heutigen Entwicklung in den Krisenbranchen<br />
(Schaubild 20).<br />
Das Neuartige an dem bisherigen Strukturwandel<br />
während der achtziger Jahre ist eher darin zu sehen,<br />
daß es, kurz gesagt, weniger expandierende Bereiche<br />
gibt als früher. Die Dynamik der Beschäftigungsentwicklung<br />
in manchen der expandierenden Bereiche,<br />
unteranderem der Kraftfahrzeugindustrie, des Kreditgewerbes,<br />
der Versicherungen geht nur abgeschwächt<br />
voran. Lediglich in dem kleinen Bereich der<br />
übrigen Dienstleistungen war in jüngster Zeit eine<br />
Beschleunigung festzustellen.<br />
Hingegen gibt es viele Branchen, in denen im Vergleich<br />
zu den siebziger Jahren die Beschäftigung nun<br />
abgebaut wird, beziehungsweise der Abbau sich beschleunigt.<br />
In der Bauwirtschaft, einschließlich der<br />
vorgelagerten und nachgelagerten Branchen wie<br />
Steine und Erden, Stahlbau, Holzverarbeitung und<br />
Ausbaugewerbe hat sich der Beschäftigungsabbau<br />
verstärkt. Im langfristigen Trend bauen auch der Handel,<br />
die Bahn sowie die Nahrungs- und Genußmittelindustrie<br />
Personal ab. Auf der Liste derjenigen Branchen,<br />
denen es im Vergleich zu den siebziger Jahren<br />
gelungen ist, den Arbeitsplatzabbau zu verlangsamen,<br />
stehen hingegen nur wenige Branchen wie die<br />
Chemieindusme, der Maschinenbau und der Büromaschinenbau<br />
sowie - was aus anderen Gründen bedenklich<br />
ist - die Landwirtschaft.<br />
118. Die Diskussion über den sektoralen Strukturwandel<br />
ist eng verquickt mit der Frage, welcher Beitrag<br />
von neuen Unternehmen <strong>zur</strong> Beschäftigungsentwicklung<br />
geleistet wird. In verschiedenen Untersuchungen<br />
wurde nachgewiesen, daß seit 1977 in der<br />
Bundesrepublik ein erheblicher Teil der Arbeitsplatzverluste<br />
überwiegend in den großen Betrieben<br />
schrumpfender Branchen durch die Neugründung<br />
von überwiegend kleineren Betrieben aufgefangen<br />
wurde. Dabei finden sich Neugründungen vor allem,<br />
aber nicht nur, in den expandierenden Branchen des<br />
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