Jahresgutachten 1987/88 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...
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Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode Drucksache 11/1317<br />
Das Europäische Währungssystem vor neuen<br />
Herausforderungen<br />
(Ziffern 347ft)<br />
65', Das Europäische Währungssystem (EWS) steht<br />
vor neuen Herausforderungen. Geplant ist zum einen<br />
die völlige Aufhebung der Kapitalverkehrsbeschränkungen<br />
in der Europäischen Gemeinschaft im Zusammenhang<br />
mit der für 1992 beschlossenen Verwirklichung<br />
eines gemeinsamen Binnenmarktes in Europa.<br />
Bei liberalisiertem Kapitalverkehr werden die EWS<br />
Mitgliedsländer weit mehr als gegenwärtig zu einer<br />
abgestimmten Währungspolitik gezwungen. Hierfür<br />
gilt es Prinzipien zu vereinbaren, die sicherstellen,<br />
daß das EWS als Zone währungspolitischer Stabilität<br />
an Kraft gewinnt. Zum anderen entstehen Herausforderungen<br />
aus der gegenwärtigen Diskussion über den<br />
wirtschaftspolitischen Kurs in Europa. fn einigen<br />
EWS-Ländern wurden Stimmen laut, die mit Blick auf<br />
das insgesamt unbefriedigende Wirtschaftswachstum<br />
in Europa eine expansivere Wirtschaftspolitik fordern.<br />
Solche Forderungen richten sich insbesondere an die<br />
Deutsche Bundesbank, deren Stabilitätsorientierung<br />
als Hemmnis für ein rascheres Wachstum angesehen<br />
wird. Wenn mit dem Streben nach mehr Wachstum<br />
die Neigung verbunden ist, in den stabilitätspolitischen<br />
Anstrengungen nachzulassen, wäre dies für das<br />
EWS sehr bedenklich. Das EWS wird als funktionstüchtiges<br />
Währungssystem auf die Dauer nur erhalten<br />
bleiben können, wenn es drei Elemente gleichzeitig<br />
zu realisieren versteht: ein stabiles Preisniveau, freizügigen<br />
Kapitalverkehr und feste Wechselkurse. Die<br />
Leistungsfähigkeit des EWS wiederum ist eine wichtige<br />
Voraussetzung für ein dauerhaftes, störungsfreies<br />
Wirtschaftswachstum in Europa.<br />
66'. Der Sachverständigenrat teilt die Ansicht, daß<br />
ein insgesamt rascheres Wachstum in Europa anzustreben<br />
ist. Vorrang für die Wacbstumspolitik ist nicht<br />
nur in der Bundesrepublik erforderlich. Bei der engen<br />
Verflechtung der europäischen Volkswirtschaften<br />
kann jedes Land um so eher auf eine größere Dynamik<br />
holfen, je mehr auch die Partnerländer der Wachstumspolitik<br />
Vorrang einräumen. Ebenso entschieden<br />
ist der Sachverständigenrat aber der Meinung, daß<br />
der Weg zu mehr Wachstum nicht über eine Inflationierung<br />
führt. fn inflationärem Klima kann eine Wirtschaft<br />
nur vorübergehend expandieren, alsbald wird<br />
eine Stabilisierungskrise den Rückschlag bringen. inflation<br />
ist als Mittel zum Zweck auch gar nicht erforderlich.<br />
Vorrang für die Wachstumspolitik heißt, am<br />
ordnungspolitischen Rahmen der VolkswirIschaften<br />
anzusetzen. Insbesondere geht es um effizienzstei·<br />
gemde Rahmenbedingungen. Eine so verstandene<br />
Wachstumspolitik setzt den wirtschaftspolitischen<br />
Konsens in jedem Mitgliedsland voraus. Der Verteilungsprozeß<br />
dar! nicht durch inflationär wirkende<br />
Konflikte überfordert werden. Der Staat hat die Entfaltung<br />
der privatwirtschaftlichen Initiative zu fördern.<br />
Die Notenbank kann dann, wenn Stabilitätswille<br />
erkennbar ist, den sonst erforderlichen Restriktionsdruck<br />
lockern.<br />
Auch wenn eine energischere Wachstumspolitik in<br />
Europa anzumahnen ist, kann und muß der Grundsatz<br />
der Stabilität des Preisniveaus weiterhin richtungweisend<br />
für die Länder des EWS bleiben.<br />
67*. Immer wieder entstehen im EWS Probleme<br />
durch Kursschwankungen des Dollar, da hiervon in<br />
erster Linie die D-Mark als internationale Reservewährung<br />
betrollen ist. Wenn der Kurs des Dollar fällt,<br />
neigt die D-Mark meist zu einer stärkeren Höherbewertung<br />
als die anderen EWS-Währungen. 19adurch<br />
können Spannungen im Wechselkursverbund entstehen.<br />
Die relativ <strong>zur</strong> D-Mark schwäch~renWährungen<br />
müßten durch Interventionen oder andere Anpassungsmaßnahmen<br />
unter Umständen gestützt werd~n.<br />
Allerdings hat sich hier das EWS als robuster erwIesen,<br />
als man ihm häufig zugetraut hatte.'Die Dollarkursschwankungen<br />
der letzten Jahre haben das EWS<br />
nicht gesprengt.<br />
68'*. Auf der Konferenz der Finanzminister und Zentralbankpräsidenten<br />
am 12. September <strong>1987</strong> in Nyborg<br />
sind - auf der Basis von Beschlüssen der Notenbankpräsidenten<br />
der Mitgliedsländer der Europäischen<br />
Gemeinschaft - Erleichterungen für intramarginale<br />
Interventionen beschlossen worden. Diese Interventionen<br />
können durch Rückgrill auf die "sehr<br />
kurzfristige Finanzierung" über den Europäischen<br />
Fonds für währungspolitische Zusammenarbeit<br />
(EFWZ) finanziert werden.<br />
Die Beschlüsse von Nyborg sehen vor, daß die im Rahmen<br />
der sehr kurzfristigen Finanzierung aufgenommenen<br />
Interventionskredite nun bis zu 100 vH (bisher<br />
50 vH) in ECU <strong>zur</strong>ückgezahlt werden können. Voraussetzung<br />
hierfür ist, daß sich nicht eine unausgewogene<br />
Zusammensetzung der Währungsrese~e.n ergibt<br />
und daß keine übermäßigen SchuldnerposItionen<br />
oder Gläubigerpositionen in ECU entstehen. DIese<br />
Regeln sollen nach zwei Jahren einer überprüfung<br />
unterzogen werden.<br />
Nimmt man alles zusammen, so ist weder in der Einbeziehung<br />
intramarginaler Interventionen in die sehr<br />
kurzfristige Finanzierung noch in der Anhebung der<br />
Grenze für die Rückzahlung von Interventionskremten<br />
in ECU eine problematische Aulweichung des<br />
EWS-Vertragswerks zu sehen, aus der inflationäre<br />
Gefahren entstehen werden. Diese Neuerungen sind<br />
nicht ohne die Zustinunung der die Interventionswährung<br />
emittierenden Notenbank anwendbar. Gelegentlich<br />
wird in diesem Zusammenhang insbesondere<br />
in der Bundesrepublik das Bedenken geäußert, daß<br />
die EWS-Partnerländer die Neuerung nutzen könnten,<br />
um vor allem die Bundesbank unter Druck zu setzen,<br />
der letztlich auf eine Anpassungsinflation hinauslaufen<br />
könnte, Eine solche, im Grunde mißbräuchliche<br />
Nutzung der EWS-Vereinbarungen wäre um so<br />
unwahrscheinlicher, je entschiedener die Bundesbank<br />
- und nicht nur sie, sondern auch die Bundesregierung<br />
- die deutsche Position klarstellt: daß die<br />
engagierte Beteiligung der Bundesrepublik am EWS<br />
so lange gewährleistet bleibt, wie Konsens über die<br />
Preisniveaustabilität als notwendige Basis des EWS<br />
herrscht.<br />
Tartfpolitik: Konstanz der Lohnstückkosten<br />
mittelfristig sichern<br />
(Ziffern 356fl.)<br />
69*. Bei einer Wertung der Ergebnisse, welche die<br />
Lohnrunde dieses Jahres im ganzen erbracht hat, ist<br />
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