Jahresgutachten 1987/88 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...
Jahresgutachten 1987/88 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...
Jahresgutachten 1987/88 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
ehen pessimistischen Einschätzungen bei seiner<br />
Gründung hat es sich nicht zu einer Zone der Instabilität<br />
entwickelt. Tatsächlich konnte die durchschnittliche<br />
Inflationsrate der am Wechselkursverbund beteiligten<br />
EG-Länder von einem Höchstwert von 14,3 vH<br />
im Jahre 1980 auf 3,3 vH im Jahre 1986 <strong>zur</strong>ückgeführt<br />
werden. Dabei hat die Spanne zwischen den nationalen<br />
Inflationsraten abgenommen. Daß es hierzu kam,<br />
ist zum einen auf den Stabilisierungsprozeß in der<br />
Bundesrepublik Deutschland <strong>zur</strong>ückzuführen. Aufgrund<br />
des hohen Gewichts der deutschen Wirtschaft<br />
im EG-Raum und der faktischen Leitwahrungsrolle<br />
der D-Mark im EWS übte derRückgang der Inflationsrate<br />
in der Bundesrepublik Anpassungsdruck auf die<br />
anderen EWS-Mitgliedsländer aus. Dies allein erklärt<br />
den Stabilitätserfolg des EWS allerdings nicht. Zum<br />
anderen kam ein ernsthafter Stabilitätswille hinzu,<br />
der die EWS-Mitgliedsländer - wie andere Industrieländer<br />
auch - in den achtziger Jahren kennzeichnete.<br />
Angesichts von Inflationsraten, die nach dem<br />
zweiten Ölpreisschock vielfach auf zweistellige Werte<br />
hochgeschnellt waren, war die Wiederherstellung von<br />
Stabilität überall erforderlich. Die Erfahrungen der<br />
letzten Jahre belegen, daß ein Währungssystem wie<br />
das EWS funktionieren kann, wenn sich seine Mitglieder<br />
der Preisniveaustabilität verplIichtet fühlen.<br />
Seit Jahren verharrt die Arbeitslosenquote im EG<br />
Raum auf hohem Niveau; sie ist mehr als doppelt so<br />
hoch wie bei der Gründung des EWS, vornehmlich<br />
weil das Wirlschaftswachstum Dynamik vermissen<br />
läßt. Seitdem Europa der Preisniveaustabilität nahegekommen<br />
ist, scheint es vielen geboten, nunmehr<br />
dem Wachslumsziel und Beschäftigungsziel Priorität<br />
ein<strong>zur</strong>äumen. Der Sachverständigenrat teilt die Ansicht,<br />
daß ein insgesamt rascheres Wachstum in Europa<br />
anzustreben ist. Vorrang für die Wachstumspolitik<br />
ist nicht nurin der Bundesrepublik erforderlich. Bei<br />
der engen Verflechtung der europäischen Volkswirtschaften<br />
kann jedes Land um so eher auf eine größere<br />
Dynamik hollen, je mehr auch die Partnerländer der<br />
Wachstumspolitik Vorrang einräumen. Ebenso entschieden<br />
ist der Sachverständigenrat aber der Meinung,<br />
daß der Weg zu mehr Wachstum nicht übereine<br />
InlIationierung führt. In inflationärem Klima kann<br />
eine Wirtschaft nur vorübergehend expandieren; alsbald<br />
wird eine Stabilisierungskrise den Rückschlag<br />
bringen. lnßation ist als Mittel zum Zweck auch gar<br />
nicht erforderlich. Vorrang für die Wachstumspolilik<br />
heißt, am ordnungspolitischen Rahmen der Volkswirtschaften<br />
anzusetzen. Insbesondere geht es um elfizienzsteigemde<br />
Rahmenbedingungen. Eine so verstandene<br />
Wachstumspolilik setzt den wirtschaftspolitischen<br />
Konsens in jedem Jvfitgliedsland voraus. Der<br />
Verteilungsprozeß dar! nicht durch inflationär wirkende<br />
Konllikte überfordert werden. Der Staat hat die<br />
Entfaftung der privatwirlschaftlichen Initiative zu fördern.<br />
Die Notenbank kann dann, wenn Stabilitätswille<br />
erkennbar ist, den sonst erforderlichen Restriktionsdruck<br />
lockern.<br />
Auch wenn eine energischere Wachstumspolitik in<br />
Europa anzumahnen ist, kann und muß der Grundsatz<br />
der Stabilität des Preisniveaus weiterhin richtungweisend<br />
für die Länder des EWS bleiben. In diesem Sinne<br />
kann das auf der Konferenz der Finanzminister und<br />
Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode Drucksache 11/1317<br />
Zentralbankpräsidenten in Nyborg bekräftigte Ziel,<br />
daß die Zentralbanken in ihrer Geldpolitik der Preisniveaustabilität<br />
Priorität ein<strong>zur</strong>äumen haben, nicht<br />
hoch genug eingeschätzt werden.<br />
349. Gleichwohl hat die kontroverse Diskussion<br />
über die Ausrichtung der Wirtschaftspolitik im EWS<br />
an Schärfe zugenommen. Von Partnerländem der<br />
Bundesrepublik wird die Dominanz der D-Mark beklagt<br />
und mehr Symmetrie, das heißt eine als gerechter<br />
empfundene Verteilung der Anpas,\ungslasten bei<br />
divergierender Wirtschaftsentwicklung verlangt. Dahinter<br />
steht die Erfahrung, daß von der Stärke der<br />
D-Mark im Wechselkursverbund, die letztlich aus<br />
dem vergleichsweise niedrigen Inflationstempo in der<br />
Bundesrepublikresultiert, Anpassungsdruck auf Partnerländer<br />
mit höherem Inflationstempo ausgeht.<br />
Diese werden zu restriktiven Maßnahmen gezwun·<br />
gen, um die Wechselkursrelationen zu verteidigen.<br />
Das empfinden sie vielfach als Behinderung für eine<br />
expansivere Politik. Mehr Symmetrie in der Anpassung<br />
bedeutet für eine Reihe von Partnerländem deshalb,<br />
die Bundesrepublik zu einem höheren InlIationstempo<br />
zu veranlassen. Dabei geht es nicht nur<br />
darum, daß die Bundesrepublik den tendenziellen<br />
Ausgleich der Inflationsraten zuläßt, der in einem<br />
Festkurssystem angelegt ist. Sie müßte durch eigene<br />
Inflationierung den Partnerländern mehr Spielraum<br />
für eine expansivere Wirtschaftspolitik geben.<br />
. Es muß mit aller Deutlichkeit gesagt werden, daß eine<br />
solche Strategie, die schon wegen der Preisgabe des<br />
Stabilitätszieles nicht akzeptabel ist, auch in der Sache<br />
nicht zu den beabsichtigten Ergebnissen führt.<br />
Das Anpassungsproblem der Partnerländer entsteht<br />
nicht aus einem niedrigen Niveau der Inflationsrate in<br />
der Bundesrepublik, sondern aus einem Inflationsgefälle<br />
gegenüber den anderen Ländern, das sich unabhängig<br />
vom Niveau der Inflationsrate einstellen kann.<br />
Wenn die Partnerländer der wirtschaftlichen Expansion<br />
Vorrang vor dem Stabilitätsziel einräumen soll·<br />
ten, werden sie den bei höherer Inflation in der Bundesrepublik<br />
vorübergehend gewonnenen Handlungsspielraum<br />
nutzen, in ihren Konsolidierungsbemühungen<br />
nachlassen und expansivere Maßnahmen<br />
ergreifen. Dadurch werden Bremsen gelockert, die<br />
den Preisauflrieb im Zaum hielten, latent vorhandener<br />
lnßationsdruck könnte sich entfalten. Am Ende<br />
hat sich das Inflationsniveau insgesamt erhöht, das<br />
Inflationsgefälle und die damit verbundene Anpassungslast<br />
haben sich aber nicht geändert.<br />
Es muß allerdings auch die andere Seite des Problems<br />
beachtet werden. In einigen Ländern werden Vorwürfe<br />
erhoben, die im Währungsverbund dominierende<br />
Bundesrepublik würde eine überzogene Restriktionspolitik<br />
betreiben und damit einen so starken<br />
Druck auf die anderen Länder ausüben, daß deren<br />
Anpassungsfähigkeit überfordert wird und sie kräftige<br />
Wachstumsverluste und Beschäftigungseinbußen<br />
hinzunehmen hätten. Hierzu ist grundsätzlich festzustellen,<br />
daß eine überzogene Restriktionspolitik eines<br />
dominierenden Mitgliedslandes dem Wahrungsverbund<br />
im ganzen schaden und damit den Zusammenhalt<br />
des Systems gefährden könnte. Daran kann niemandem<br />
gelegen sein. Auch die Bundesrepublik, die<br />
177