Jahresgutachten 1987/88 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...
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Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode Drucksache 11/1317<br />
lieh sein wird. Würde mit dem Hinweis auf hohe Haushaltsrisiken<br />
gegen ein Vorziehen der Steuerentlastung<br />
votiert, käme darin eine pessimistische Einschätzung<br />
der wachstumsstimulierenden Wirkungen<br />
der Steuerreform zum Ausdruck. Der Staat kann mit<br />
dem Vorziehen der Reform den Investoren und Konsumenten<br />
signalisieren. daß er der wachstumsfördernden<br />
Wirkung der Steuerreform ein großes Gewicht<br />
beimißt.<br />
311. Die Frage nach der Finanzierung der Steuerrefonn<br />
stellt sich unabhängig davon, ob diese vorgezogen<br />
wird oder nicht. Die Ratsmehrheit hält weiter<br />
daran fest, daß die Staatsausgaben restriktiv geführt<br />
werden, also im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt<br />
sinken sollen, wodurch Finanzierungsspielraum für<br />
die Steuerreform geschaffen werden soll. Dieser auf<br />
Senkung der Staatsquote gerichtete Vorschlag stößt<br />
bei diesem Ratsmitglied auf grundsätzliche Bedenken,<br />
weil der Vorschlag die Staatsausgaben zu sehr<br />
als Manövnermasse zm Finanzierung von Steuersenklmgen<br />
behandelt. Dabei wird die Gefahr unterschätzt,<br />
daß mit der vorgeschlagenen Verminderung<br />
im Anstieg der Staatsausgaben auch die Aufgabenerfüllung<br />
des Staates in Mitleidenschaft gezogen werden<br />
kann.<br />
tvfit einem mittelfristigen Ausgabenpfad von nominal<br />
3 vH oder weniger, wie ihn die Ratsmehrheit vorschlägt,<br />
ist praktisch keine oder nur noch eine geringfügige<br />
Ausweitung der realen Staatsleistungen insgesamt<br />
möglich.<br />
Der Staat würde sich, wenn er den Ausgabenanstieg<br />
so gering halten sollte, nur zögernd Aufgabenfeldern<br />
zuwenden können, die bislang vernachlässigtwurden<br />
und die eigentlich mehr statt weniger Aktivität erfordern.<br />
Hierzu gehören Aufgaben im Bereich des Umweltschutzes<br />
(Altlastensanierung) ebenso wie bei der<br />
Energieeinsparung, im Bereich des Städtebaus<br />
(Wohnumfeldverbesserung) wie im Verkehrsbereich<br />
(Ausbau des Hochleistungsschienennetzes, öffentlicher<br />
Personen~ahverkehr).Auch im Sozialbereich erwachsen<br />
dem Staat aus der Bevölkerungsentwicklung<br />
heraus neue Aufgaben und Ausgaben (AltenpIlege).<br />
In diesen Bereichen aktiv zu werden, verbaut die<br />
Wachstumschancen nicht, sondern verbessert die<br />
Voraussetzungen für ein qualitatives Wachstum. Zudem<br />
sind in vielen dieser Bereiche Ausgaben unmittelbar<br />
beschäftigungswirksam.<br />
AusgabenkÜfZungen, zu denen die Gebietskörperschaften<br />
bei insgesamt niedrigem Ausgabenvolumen<br />
gezwungen sein würden, träfen auch die lnvestitionen<br />
des Staates, die wichtige Vorleistungen für den<br />
privaten Bereich darstellen. Das würde dem Wachstum<br />
entgegenwirken. In manchen Ausgabeneinsparungen<br />
von heute sindim übrigen staatliche Mehrausgaben<br />
von morgen angelegt. Was heute an notwendigen<br />
Investitionen unterlassen wird, muß der Staat<br />
morgen um so teurer nachholen.<br />
312. Man kann allerdings - wie die Ratsmehrheit<br />
- argumentieren, daß eine Vernachlässigung<br />
wichtiger Staatsaufgaben trotz eines restriktiven Ausgabenpfades<br />
nicht eintreten muß, wenn der Staat innerhalb<br />
seiner Gesamtausgaben Umschichtungen<br />
vornimmt. l-lier wird vor allem an einen Abbau von<br />
Subventionen gedacht. Es müssen, so heißt es, Subventionen<br />
für alle Schutzbereiche deutlich gesenkt<br />
oder abgebaut werden: in der Stahlindustrie, den<br />
Werften, dem Steinkohlenbergbau, der Landwirtschaft<br />
(Ziffer 284). Dieser Vorschlag wird von diesem<br />
Ratsmitglied angesichts der Bedenken, die gegen<br />
staatliche Subventionen, welche den Strukturwandel<br />
behindern, vorzutragen sind, grllndsätzlich unterstützt.<br />
Jedoch darf man die politische Wirklichkeit<br />
nicht aus dem Blick verlieren. Für den wünschenswerten<br />
Subventionsabbau wird mehr Zeit benötigt werden,<br />
als bis zum geplanten Zeitpunkt' der Steuerreform<br />
vorhanden ist. Da der Subventionsabbau nicht<br />
schnell genug vorankommen wird, geht die Politik der<br />
Staatsausgabenbeschränkung dann doch zu Lasten<br />
wichtiger Ausgabenbereiche, in denen eine Kürzung<br />
nicht angebracht ist. Man mag die Resistenz der Subventionen<br />
beklagen. Gleichwohl hat es wenig Sinn,<br />
Finanzierungsmöglichkeiten für die Steuerreform zu<br />
unterstellen, die in der politischen Realität so nicht<br />
durchsetzbar sind.<br />
313. Die von der Ratsmehrheit geforderte konsequente<br />
Absenkung der Staatsquote stößt bei diesem<br />
Ratsmitglied auch deshalb auf Bedenken, weil davon<br />
unmittelbare Belastungen für das mittelfristige Wirtschaftswachstum<br />
ausgehen. Das Problem stellte sich<br />
bereits In den vergangenen Jahren. Die Staatsquote<br />
ist seit 1981 deutlich gesunken, von 31,8 vH auf<br />
29,6 vH im Jahre <strong>1987</strong>. Doch die privaten Investitionen,<br />
die nach angebotspolitischen Vorstellungen von<br />
einer rückläufigen Staatsquote profitieren sollten,<br />
sind unzulänglich geblieben, und dies, obwohl sich<br />
auch andere Investitionsbedingungen, wie die Ge~<br />
winne der Unternehmen, deutlich verbessert haben.<br />
Wenn das Umlenken von staatlicher Aktivität zu mehr<br />
privater Aktivität nicht gelingt, bleibt per saldo eine<br />
Belastung für die Wirtschaftsentwicklung übrig.<br />
Dieses Problem wird sich auch in Zukunft nicht entschärfen.<br />
In den nächsten Jahren ist mit anhaltenden<br />
Belastungen von der Außenwirtschaft her zu rechnen,<br />
weil im Zuge eines Abbaus des amerikanischen Leistungsbilanzdelizits<br />
der Leistungsbilanzüberschuß<br />
der Bundesrepublik <strong>zur</strong>ückgeführt werden muß.<br />
Wirkt der Staat in dieser Lage durch eine restriktive<br />
Ausgabenpolitik kontraktiv, wird das Wirtschaftswachsturn<br />
zusätzlich geschwächt. Hier zeigt sich die<br />
grundsätzliche Problematik einerangebotspolitischen<br />
Konzeption der Ausgabenbeschränkung. Während<br />
der Abbau der Staatsquote auf den volkswirtschaftlichen<br />
Kreislauf unmittelbar kontraktiv wirkt, kann<br />
eine Belebung der privaten Wirtschaftstätigkeit erst<br />
sehr viel später erwartet werden. Die Frage ist, ob die<br />
Wirtschaft in der Zwischenphase robust genug ist, um<br />
den kontraktiven Ellekt zu verkraften. Vor dem Hintergrund<br />
der enttäuschenden Wirtschaftsentwicklung<br />
in der Bundesrepublik ist dies zu bezweifeln. Gute<br />
Wachstumsaussichten setzen auch Jahre mit guter<br />
Konjunktur voraus. Auf Bedenken muß es in diesem<br />
Zusammenhang insbesondere stoßen, wenn die Ratsmehrheit<br />
die Ansicht vertritt, daß, damit die Kreditfinanzierungsquote<br />
nicht steigen muß, die Ausgabenpolitik<br />
des Staates mittelfristig um so <strong>zur</strong>ückhaltender<br />
sein soll, je ungünstiger die Wirtschaftsentwicklung<br />
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