Jahresgutachten 1987/88 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...
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Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode Drucksache 11/1317<br />
rend für den Körperschaftsteuersatz eine Reduzierung<br />
von 56 vH auf 50 vH vorgesehen ist. wird offiziell mit<br />
den unterschiedlichen Belastungswirkungen der Vermögensteuerbei<br />
Kapitalgesellschaften und Personenunternehmungen<br />
sowie mit der Tatsache begründet,<br />
daß die Durchschnitlsbelastung der einkommensteuerpflichtigen<br />
Gewinne regelmäßig unter dem Spitzensteuersatz<br />
- <strong>zur</strong> Zeit also mehr oder weniger deutlich<br />
unter 56 vH - liege, während die nicht ausgeschütteten<br />
Gewinne der Kapitalgesellschaften auch durchschnittlich<br />
mit dem Nonnalsatz - <strong>zur</strong> Zeit also mit<br />
56 vH - belastet werden. Heide Argumente rechtfertigen<br />
die Abkoppelung des Einkommensteuerspitzensatzes<br />
vom Körperschaftsteuersatz indessen nicht.<br />
Was die vermögensteuerlichen Unterschiede anbelangt,<br />
wäre eine erwünschte Angleichung durch Reformen<br />
bei dieser Abgabe angemessen. Auch der Vergleich<br />
der Durchschnittsbelastungen geht fehl, und<br />
zwar aus mehreren Gründen:<br />
Für die unternehmerischen Dispositionen ist meist<br />
nicht der durchschnittliche, sondern der marginale<br />
Steuersatz entscheidend, und dieser entspricht<br />
schon bei relativ niedrigen Unternehmereinkommen<br />
dem Spitzensatz.<br />
Die Berücksichtigung der Kirchensteuern bei einem<br />
Steuerbelastungsvergleich zwischen Personenunternehmungen<br />
und Kapitalgesellschaften ist<br />
verfassungsrechtlich gewiß problematisch. Man<br />
kann auch geteilter Meinung darüber sein, ob die<br />
Kirchensteuer bei der Steuerlastverteilungberücksichtigt<br />
werden soll oder nicht. Bei einer Analyse<br />
der ökonomischen Wirkungen der Besteuerung ist<br />
indessen davon auszugehen, daß die unternehmerischen<br />
Entscheidungen von der gesamten steuerlichen<br />
Grenzbelastung der Gewinne bestimmt<br />
werden und daß in diesen Kalkül auch die Kirchensteuern<br />
eingehen. Dies spricht schon heute bei<br />
mittleren und großen Unternehmungen für die<br />
Rechtstorm einer Kapitalgesellschaft. Dieser Effekt<br />
wird durch die vorgesehene Steuerreform verstärkt.<br />
Seit der Körperschaftsteuerreform 1977 können<br />
Kapitalgesellschaften die Belastung der einbehaltenen<br />
Gewinne derjenigen von Personenunternehmungen<br />
angleichen, indem sie die Gewinne<br />
ausschütten und durch ihre Gesellschafter wieder<br />
einlegen lassen. Für kleine und mittlere Kapitalgesellschaften<br />
läßt sich also die Durchschnittsbelastung<br />
der Gewinne auf das Niveau derjenigen vergleichbarer<br />
Personenunternehmungen senken.<br />
Die Möglichkeit, die Steuerbelastung der bei Kapitalgesellschaften<br />
erzielten Gewinne durch Ausschüttung<br />
und Wiedereinlage zu senken, wird allerdings in<br />
der Regel niebt genutzt, weil die Anteilseigner ihre<br />
Interessen gegenüber dem Management nicht durchsetzen<br />
können, wie es insbesondere bei großen Publlkumsakliengesellschaften<br />
der Fall ist. Die Aufforderung<br />
<strong>zur</strong> Wiedereinlage der ausgeschütteten Gewinne<br />
weckt bei den Anteilseignern die Erwartung,<br />
daß sich auch mit dem erhöhten Kapital unveränderte<br />
Renditen erwirtschaften lassen, was häufig nicht zugesichert<br />
werden kann. Werden die Gewinne dagegen<br />
einbehalten, ist die Verwaltung einer solchen Rechenschaftsverpflichtung<br />
enthoben. Die Lenkungsfunktion<br />
des Kapitalmarkts wird ausgehöhlt, was<br />
Fehlallokationen begünstigt. Überdies kann das Management<br />
- in Ermangelung rentabler Sachanlagen<br />
- an Stelle der Gesellschafter Finanzanlagen<br />
vornehmen, insbesondere Anteile anderer pnternehmungen<br />
erwerben, was die Untemehmenskonzentralion<br />
begiinstigt. Mit der Abkoppelung des Körperschaftsteuersatzes<br />
vom SpitzensatZ' der Einkommensteuer<br />
wird diese Entwicklung zusätzlich begünstigt,<br />
was ordnungspolitisch une~nschtist.<br />
292. Die wachstumspolitische Ausrichtung der Steuerreform<br />
hat auch darunter gelitten, daß im Laufe der<br />
Diskussion immer stärker verteilungspolitische Gesichtspunkte<br />
die Oberhand gewonnen haben. Die sozialen<br />
Maßstäbe für die Steuerpolitikwerden nicht mit<br />
der Frage gewonnen, wie ein gegebenes Sozialprodukt<br />
am gerechtesten auf die Bürger verteilt werden<br />
kann, sondern durch die Aufgabe gestellt, das Produkt<br />
zu steigern; dies kommt allen zugute. So gesehen<br />
sind die mehr als 6112 Mrd DM schlecht angelegt, die<br />
die Senkung des Eingangssatzes des Einkommensteuertarifs<br />
von bisher 22 vH auf künftig 19 vH an<br />
Steuerausfall kosten wird. Trotz des hohen Steuerausfalls<br />
ist die Entlastung für den einzelnen Bürger kaum<br />
spürbar, und auch Leistungsimpulse können von dieser<br />
Senkung des Steuersatzes - im Gegensatz zu der<br />
oben erörterten Tarifkorrektur im direkt progressiven<br />
Bereich - kaum erwartet werden.<br />
Die Grundfreibeträge sollen zwar ebenfalls im Dienste<br />
der Verteilungsgerechtigkeit erhöht werden, doch<br />
ist diese Änderung günstiger zu beurteilen als die<br />
Senkung des Eingangssatzes der Einkommensbesteuerung,<br />
weil sie die Leistungsbereitschaft von Bedürftigen<br />
und Beziehern kleiner Einkommen anregen<br />
kann. Es ist nicht nur ungerecht. sondern wirkt für den<br />
betroffenen Personenkreis auch demotivierend, wenn<br />
nach dem geltenden Einkommensteuertarif Leistungseinkommen<br />
besteuert werden, die die Regelsätze<br />
der Sozialhilfe nur knapp übersteigen oder gar<br />
darunter liegen. Mit der Erhöhung des Grundfreibetrages<br />
ist dieses Problem ein wenig entschärft worden.<br />
Ähnliches gilt für die Erhöhung der Kinderfreibeträge.<br />
Gelöst werden kann es auf diese Weise allerdings<br />
nicht; denn es hat eine weiterreichende Bedeutung,<br />
auf die wir zuletzt in unserem <strong>Jahresgutachten</strong><br />
1985/86 hingewiesen haben:<br />
"Die meisten Sozialleistungen - eine wichtige Ausnahme bilden<br />
allerdings die Renten - sind gemäß § 3 EStG einkommensteuerfrei,<br />
und bei vielen dieser Hilfen sind in den Bestimmungen<br />
der Sozialgesetzgebung Einkommensgrenzen festgelegt,<br />
beideren Überschreitung der Anspruch aufdie Transferzahlung<br />
erlischt oder sich zumindest - wie etwa beim Kindergeld <br />
vermindert. Beides kann den Leistungswillen der Bürger mindern.<br />
Die Bereitschaft. sich um ein Arbeitseinkommen zu bemühen,<br />
kann kaum erwartet werden, wenn vom Lohn nach Abzug<br />
der Steuern und Sozialversicherungsabgaben kaum mehr übrig<br />
bleibt. als beim Fortbezug der steuerfreien Bezüge. Demotivierend<br />
muß es ebenfalls wirken, wenn bei der Überschreitung der<br />
Einkommensgrenze eine odergar mehrere Sozialleistungen entfallen<br />
und wenn dadurch bei mittleren Einkommen Grenzbelastungen<br />
auftreten, die nicht selten höher sind als der Spitzensteuersatz<br />
der gegenwärtigen Einkommensteuer. Zum Abbau<br />
leistungslähmender marginaler Einkommensbelastungen ist es<br />
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