19.06.2014 Aufrufe

Jahresgutachten 1987/88 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...

Jahresgutachten 1987/88 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...

Jahresgutachten 1987/88 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode Drucksache 11/1317<br />

Die zweite Frage zielt auf die der Geldpolitik der Bundesbank<br />

zugrunde liegende Grundkonzeption. Im<br />

Dezember 1974 hat die Bundesbank zum ersten Mal<br />

ein Geldmengenziel aufgestellt und derÖffentlichkeit<br />

im voraus bekanntgegebeni an dieser Praxis hat sie<br />

bisher festgehalten. Als entscheidende Orientierungsgröße<br />

tür die geplante Expansion der Zentralbankgeldmenge<br />

dient das Produktionspotential.<br />

Es fragt sich, ob nach dem Erreichen weitgehender<br />

Preisstabilität die nach der Entwicklung des Produktionspotentials<br />

bemessene Zielvorgabe für die Zentralbankgeldmenge<br />

angesichts verbreiteter Arbeitslosigkeit,<br />

angesichts der Einbindung der Bundesbank in<br />

internationale Bemühungen <strong>zur</strong> Steuerung der Weltwirtschaft<br />

sowie angesichts häufiger Turbulenzen auf<br />

den internationalen Finanzmärkten noch adäquat ist.<br />

Dieses ist die zweite Frage; sie steht in engem Zusammenhang<br />

mit der ersten. Dabei geht es gegenwärtig<br />

insbesondere um das Problem, ob <strong>zur</strong> Abwehr eines<br />

möglichen größeren Rückgangs des realen Wechselkurses<br />

mit negativen Folgen für Produktion und Beschäftigung<br />

nicht nur vorübergehend eine stärkere als<br />

dem Wachstum des Produktionspotentials entsprechende<br />

Geldmengenexpansion notwendig ist, die zugleich<br />

die Preisniveaustabilität nicht gefährdet. Dann<br />

ließe sich die Geldpolitik - wenigstens im nächsten<br />

Jahr - nicht mehr nach der bisherigen Konzeption<br />

führen. Die Beantwortung dieser zweiten Frage macht<br />

es notwendig, sich noch einmal der wesentlichen Elemente<br />

dieser Konzeption zu erinnern.<br />

316. Der Konzeption einer produktionspotentialorientierten<br />

Geldmengensteuerung mit angekündigter<br />

Zielvorgabe liegt die Erkenntnis zugrunde, daß<br />

sich die geldpolitischen Impulse auf Güter- und Faktonnärkten<br />

in zumeist unvorhersehbarer Weise mit<br />

wechselnder, vielfach langer Verzögerung und in unterschiedlicher<br />

Stärke einstellen. Die Geldpolitik hat<br />

deshalb keinen unmittelbaren Einfluß auf die Preise.<br />

Eine schnelle und sichere Feinsteuerung ist nicht<br />

möglich. Andererseits ist es ein allgemein anerkannter<br />

Erfahrungstatbestand, daß auf mittlere Frist ein<br />

Fortschreiten des Inflationsprozesses ohne eine starke<br />

Expansion der Geldbestände kaum möglich ist. Bei<br />

annähernd erreichter Preisniveaustabilität läßt somit<br />

eine Geldmengenausweitung, die proportional zum<br />

Wachstum des Produktionspotentials erfolgt, einen<br />

Wiederanstieg der Preissteigerungsraten sehr unwahrscheinlich<br />

werden.<br />

Durch die verläßliche Steuerung der Geldmenge auf<br />

einem mittelfristigen, zuvor angekündigten Zielpfad<br />

gibt die Geldpolitik der Wirtschaft eine klare Orientierung<br />

und eine verläßliche Führung. Kapitalanleger im<br />

Inland und im Ausland erhalten sichere Entscheidungsgrundlagen;<br />

insoweit besteht zu wechselnden<br />

internationalen Kapitalverlagerungen kein Anlaß.<br />

Gebietskörperschaften und Tarlfparteien werden zu<br />

stabilitätsgerechtem Handeln angehalten. Unsicherheit<br />

bei Investitions- und Innovationsentscheidungen<br />

wird vennindert.<br />

Gleichzeitig werden durch die produktionspotentialorientierte<br />

Geldmengensteuerung konjunkturelle<br />

Ausschläge tendenziell gedämpft. Im Aufschwung<br />

mit steigendem Auslastungsgrad wird Geld knapp,<br />

obwohl die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes tendenziell<br />

zunimmt; so werden Überhitzungsgefahren<br />

vennieden. Im Abschwung bei <strong>zur</strong>ückgehender Auslastung<br />

des Produktionspotentials dagegen wird der<br />

Geldmantel weiter; die Wirtschaft ist mit\Uquidität<br />

reichlich versorgt, das Zinsniveau ist vergleichsweise<br />

niedrig und regt zu vermehrten Inyestitionen an.<br />

317. Eine produktionspotenlialorientierte Geldmengensteuerung<br />

kann in unterschiedlichel' Weise vorgenommen<br />

werden. Der Sachverständigenrat hat mehrfach<br />

dafür geworben, ein Geldmengenziel für mehrere<br />

Jahre anzukündigen und konsequent zu verfolgen<br />

und dadurch einen entscheidenden Beitrag <strong>zur</strong><br />

Stabilisierung der Preiserwartungen der in der Wirtschaft<br />

Handelnden zu leisten (JG 84 Ziffer 361, JG 85<br />

Ziffer 236, JG 86 Ziller 111).<br />

Dieser Vorschlag zielt nicht auf einen strikten Regelvollzug<br />

in dem Sinne ab, daß die Zenlralbankgeldmenge<br />

unbeirrt auf dem vorgezeichneten Zielpfad zu<br />

halten sei. Eine solche monetäre Steuerungsautomatik<br />

kann schon deshalb nicht gemeint se(n, weil es in<br />

der Natur des komplexen Geldschöpfungsprozesses<br />

liegt, daß die Zenlralbankgeldmenge nicht von Woche<br />

zu Woche oder von Monat zu Monat auf dem Zielpfad<br />

gehalten werden kann; die Bundesbank kann<br />

nur durch entsprechende Gestaltung der Zinskonditionen<br />

und sonstigen Bedingungen, zu denen sie Zenlralbankguthaben<br />

bereitstellt, mittelbar darauf hinwirken,<br />

daß sich eine Geldmengenexpansion so wie<br />

vorgesehen ergibt. Ein fluktuierender Geldbedarf der<br />

Wirtschaft wird deshalb zu kurzfristigen Abweichungen<br />

vom Zielpfad führen. In der Regel kompensieren<br />

sich diese schon innerhalb weniger Monate gegenseitig<br />

und wecken keinen Zweifel daran, daß die Notenbank<br />

ihr Ziel ernsthaft verfolgt.<br />

Unsere Vorstellungen sind auch nicht so zu verstehen,<br />

daß die Zielvorgabe bedingungslos erfolgen soll. Die<br />

Notenbank muß in Ausnahmesituationen, in denen<br />

der Volkswirtschaft gravierende Nachteile durch unvorhergesehene<br />

Entwicklungen drohen, frei sein, entsprechende<br />

Gegenmaßnahmen zu treffen, auch wenn<br />

dadurch Abweichungen der Zenlralbankgeldmenge<br />

vom Zielpfad über mehrere Monate hinweg oder gar<br />

länger eintreten. Starke und abrupte Veränderungen<br />

der realen Wechselkurse beispielsweise oder eine<br />

drohende Rezession mit kumulativem Rückgang der<br />

gesamtwirtschaftlichen Nachfrage können eine Antwort<br />

der Geldpolitik notwendig machen. Neben der<br />

Zielvorgabe wären somit Ausnahmeklauseln zu formulieren.<br />

Wenn sich die Notenbank auf diese Klauseln<br />

beruft, sollte sie jedoch überzeugend darlegen<br />

können, daß die mit der Abweichung vom Zielpfad<br />

verbundenen Vorteile für die Volkswirtschaft größer<br />

als die Nachteile sind. Auch wäre anzugeben, wie die<br />

Rückkehr auf den Zielpfad gelingen soll; Ausnahmesituationen<br />

sind keine dauerhaften Zustände. Bei länger<br />

anhaltender Zielüberschreitung ist es unvermeidlich,<br />

daß Inflationserwartungen entstehen oder verstärkt<br />

werden und über kurz oder lang inflationäre<br />

Tendenzen tatsächlich einsetzen. Dem müßte dann<br />

165

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!