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1.2 Monika Kastner - Vitale Teilhabe - Löcker Verlag

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zug auf die Zielgruppe wurde stets hervorgehoben, dass »erwachsene Analphabeten<br />

[…] keineswegs dumm [seien]« (ebd.: 88). Diese überhebliche Zuschreibung<br />

von Intelligenz gründete sich auf die angenommene Fähigkeit dieser Personen, das<br />

Manko über lange Jahre verheimlicht zu haben – wirklich gemeint war, dass »man<br />

es nicht mit geistig Behinderten« (ebd.: 88) zu tun habe. 105<br />

Die Gefahr der Stigmatisierung durch negative Konstruktionen und Zuschreibungen<br />

muss ernst genommen werden (siehe dazu Abschnitt 2.3). Nichtsdestotrotz<br />

kann der Zielgruppenarbeit in didaktischer Hinsicht ein großes Potenzial beigemessen<br />

werden (vgl. Siebert 2003: 95ff.):<br />

»Die Forderung nach homogener Zielgruppenarbeit betont die Notwendigkeit, dass vor allem<br />

‚unsichere‘ Gruppen in einem relativen Schonraum die Möglichkeit der Selbstvergewisserung<br />

und psychosozialen Stabilisierung benötigen. Eine solche ‚beschützende‘ Bildungsarbeit kann<br />

lernbiografisch als Übergangsstadium zu einer selbstbewussten Teilnahme an ‚gemischten‘<br />

Gruppen verstanden werden.« (ebd.: 97)<br />

Diese Form der beschützenden Bildungsarbeit verweist auf das didaktische Prinzip<br />

der Orientierung an den Teilnehmenden, wobei sich diese Orientierung in einem<br />

Spannungsverhältnis zur Zielgruppenorientierung befindet:<br />

»Zielgruppen als ‚Sozialcharaktere‘ haben eine kollektive, soziologische Grundlage. TNO<br />

[Teilnehmerorientierung] verweist dagegen auf Individualisierungsprozesse, auf individuelle<br />

Lerninteressen, auf psychologische Grundlagen und die ‚Autonomie des Subjekts‘. Eine dezidierte<br />

Orientierung am einzelnen Teilnehmer kollidiert so mit dem Anspruch kollektiver<br />

Emanzipation in der Zielgruppenarbeit. Radikalisiert hat TNO letztlich einen ‚Einzelunterricht‘<br />

zur Folge.« (ebd.)<br />

Horst Siebert betont in diesem Zusammenhang, dass eine »gut gemeinte ‚andragogische‘<br />

paternalistische, fürsorgliche« (ebd.: 104) Orientierung an den Teilnehmenden<br />

»immer in Gefahr einer heimlichen Dozentenorientierung und einer normativen<br />

Pädagogik« (ebd.) ist. Diese Gratwanderung dürfte sich in der Alphabetisierungsund<br />

Basisbildungsarbeit verstärkt stellen. Schließlich geht es nicht nur um reine Wissensvermittlung<br />

und das Erlernen gewisser Kulturtechniken. Birte Egloff hat in ihrer<br />

qualitativen Studie »Biographische Muster ‚funktionaler Analpha beten‘« (1997)<br />

neben Bewältigungsstrategien insbesondere Entstehungsbedingungen des Analphabetismus<br />

fokussiert. Das Ergebnis zeigte, dass es sich dabei zentral um ungünstige<br />

Bedingungen der sozialen Herkunft (Milieu) handelt, d.h., sich nachteilig auf das<br />

Kind auswirkende Familienkonstellationen (beispielsweise eine große Geschwisterzahl<br />

und/oder eine nachteilige Position innerhalb der Geschwisterreihe), teilweise<br />

weisen auch die Eltern eine belastete Biografie auf. Vielfach wurde von Gewalt oder<br />

der Erfahrung von Gleichgültigkeit und Vernachlässigung (die so genannte »vorenthaltene«<br />

Kindheit) berichtet. Von einigen wurde die Schule kurzfristig als Ausweg<br />

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