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1.2 Monika Kastner - Vitale Teilhabe - Löcker Verlag

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den würde. Er hat sogar schon überlegt, sein Gewerbe ruhend zu stellen, um sich<br />

verstärkt seinen Lernprozessen widmen zu können (vgl. TNer5, 96-104 und 234-<br />

239). Die ihm bevorstehende Prüfungssituation und die dort herrschende Prüfungskultur<br />

bereiten ihm Sorgen: »Aber ich weiß nicht, wenn ich halt da beim Lesen länger<br />

brauche oder doch nicht oft so, ob das dann bei der Prüfung auch so ist oder<br />

was. Ob man, ob die da eine Einsicht haben oder nicht.« (TNer5, 154ff.) Ein Jahr<br />

nach dem Interview besteht er auf Anhieb die Führerscheinprüfung. Seine Kursleiterin<br />

berichtet diesbezüglich Denkwürdiges: Bei der Prüfung bestand die Möglichkeit<br />

der Beistellung eines so genannten Lesehelfers. Voraussetzung dafür war allerdings<br />

ein psychologischer Test. Der Teilnehmer hatte, um auch tatsächlich einen<br />

Lesehelfer zu bekommen, bei diesem Test bewusst tiefgestapelt, außerdem musste<br />

er nicht nur prüfungsrelevante Inhalte lesen, bei denen er geübt war, sondern auch<br />

allgemeine Inhalte. Die schriftlich übermittelte Diagnose des Psychologen lautete<br />

auf »schwerer Legastheniker, der kaum sinnentnehmend lesen kann«. Das Entsetzen<br />

der Kursleiterin war groß, der gestärkte Selbstwert könnte mit einem solchen<br />

Befund innerhalb von Minuten zunichte gemacht werden. Der Teilnehmer traf jedoch<br />

die Entscheidung, diesen Befund nicht zu lesen und somit nicht zur Kenntnis<br />

zu nehmen. Er trug dadurch für sich selbst Sorge. Seine weitere Basisbildungsteilnahme<br />

zum Erlernen des Schreibens ist bereits geplant. Er wird von der Einzelbetreuung<br />

in eine bestehende Gruppe wechseln (vgl. Protokoll A, 5).<br />

Teilnehmerin 20 berichtet von der Auffrischung von in der Schule Gelerntem<br />

(Grundrechnungsarten, Rechtschreibung). Im Verlauf des Kurses eignet sie sich<br />

zudem den berufsbezogenen Umgang mit Geld an, sprich das Herausgeben von<br />

Wechselgeld (vgl. TNin20, 272-276, 639-643 und 176ff.). Dass sie durch die Kursteilnahme<br />

bereits früher Gelerntes auffrischen kann, vermittelt ihr ein Gefühl von<br />

Sicherheit, das sie als unerlässlich erachtet, um an dem Vorbereitungskurs für die<br />

Lehrabschlussprüfung bei einem kommerziellen Bildungsanbieter teilzunehmen<br />

(vgl. TNin20, 178-202). Sie bedauert, aufgrund der Arbeitsorganisation ihres Beschäftigungsprojektes<br />

nicht wöchentlich, sondern nur vierzehntägig zum Kurs<br />

kommen zu können (vgl. 604f.). 207 Immer wieder formuliert sie Zweifel, ob ihr<br />

berufliches Ziel, das Erreichen des Lehrabschlusses, auch wirklich sinnvoll sei,<br />

schließlich kenne sie einige Menschen, die trotz eines Lehrabschlusses keine Stelle<br />

finden würden (vgl. TNin20, 613ff.). Ein Jahr nach dem Interview berichtet die<br />

Kursleitung, dass die Teilnehmerin zur Lehrabschlussprüfung nicht angetreten ist.<br />

Fehlender Mut und mangelnde Zuversicht werden als Ursachen hierfür vermutet,<br />

möglicherweise ausgelöst oder zumindest verstärkt durch eine Kollegin im Vorbereitungskurs<br />

zur Lehrabschlussprüfung, die sich bereits zuvor entschieden hatte,<br />

nicht zur Prüfung anzutreten. Generell muss davon ausgegangen werden, dass die<br />

lange und erfolglose Suche nach einer Stelle Resignation verursacht, das höhere<br />

Lebensalter und die Langzeiterwerbsarbeitslosigkeit wirken – unabhängig davon,<br />

ob ein Lehrabschluss vorgewiesen werden kann oder nicht – als Barriere für eine<br />

Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit. Es wird außerdem über schwierige Ar-<br />

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