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das gewebe literarischer erfahrung - Dr. Jörg-Dietrich Steitz ...

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3 Literaturdidaktische Interaktionsfiguren – eine systematische Rekonstruktion 101<br />

nen sollten.“ (Grünwald 1970, 18) – „Ziel des Deutschunterrichts kann<br />

deshalb nicht sein, Schülern eine Ideologie als richtig darzustellen, d.h. Schüler<br />

mit Hilfe von Literatur ideologisch zu indoktrinieren, sondern nur, sie zu<br />

lehren, jede Ideologie als eine solche zu erkennen, ihre sozialen Voraussetzungen<br />

zu ergründen und kritisch ihre Relevanz für <strong>das</strong> eigene Denken zu erwägen.“<br />

(a.a.O., 31)<br />

Als Konsequenz für den Unterricht ergibt sich eine technisch-rationale Haltung zu<br />

den unterrichtlichen Gegenständen, die sich zunächst als Anweisung an die Lehrer<br />

liest:<br />

„Sie (die Lehrer, StK) müssen sie (die Klassiker, StK) vielmehr als ideologische<br />

Leichen betrachten, an denen die Schüler <strong>das</strong> Sezieren, d.h. Analysieren<br />

von Literatur lernen, damit sie, wenn sie lebendigen literarischen Werken gegenüberstehen,<br />

zu erkennen vermögen, ob und wie ihnen diese schaden oder<br />

nützen können.“ (a.a.O., 31)<br />

Wieder ist die Lust am Zerstören spürbar, <strong>das</strong> gleichwohl ein methodisch geleitetes<br />

Zerstören ist: „Sezieren“ evoziert Medizin und Anatomie, könnte als methodische<br />

Leitung und Kanalisierung aggressiver Impulse verstanden werden.<br />

Das Bild des Umgangs mit Literatur löst bei der Lektüre ein Gefühl des Erschreckens<br />

hervor, <strong>das</strong> mehrere Facetten hat. Es ist einerseits ein Gefühl von<br />

Ängstlichkeit gegenüber den Meistern des Sezierens. Andererseits hat es die<br />

Facette von Ent-Individualisierung, ist verbunden mit einem Gefühl von Anonymität,<br />

von Gestaltlosigkeit der Schüler, als ob sie letztlich keine eigene<br />

Kontur gewinnen können in diesem Geschehen.<br />

Die aggressiv-ablehnende Haltung gilt jedoch nicht jedweder Literatur, sie gilt einer<br />

Traditionslinie, die eben auch ausgeschlossen hat, was nicht tradierenswert erschien.<br />

Positive Bezugspunkte erscheinen dann jenseits dieser Traditionslinien. In Grünwalds<br />

Artikel sind dies etwa Büchner und Heine (vgl. a.a.O., S. 24). Doch auch klassische<br />

Literatur kann bei „richtiger“ Interpretation und richtigem Interpreten durchaus<br />

wertvoll sein. Der positive Bezug auf Ides Egmont-Arbeit bei Grünwald zeigt<br />

eine wichtige intergenerationelle Überdeterminiertheit der Auseinandersetzung. Die<br />

existentialistische Deutung des „Egmont“ bei Ide (vgl. a.a.O., 30) bekommt ihre<br />

historische Berechtigung zugesprochen und fällt nicht dem Verdikt des falschen<br />

Bewusstseins anheim. Hinter der Literatur erscheint eine Generation, die mit der<br />

Literatur anders umgeht. So bildet sich hier ein interaktionelles Gefüge, allerdings<br />

weniger zwischen Schülern und Lehrern, sondern zwischen Lehrern verschiedener<br />

Generationen, was auch heißt zwischen ehemaligen Schülern und ihren ehemaligen<br />

Lehrern. Die literaturdidaktische Interaktionsfigur der Wissenschaftsorientierung<br />

lässt so die affektive Dimension eines weiteren interaktionellen Schauplatzes des<br />

literaturdidaktischen Geschehens erkennbar werden: <strong>das</strong> intergenerationelle Geschehen<br />

innerhalb der Lehrerschaft selbst.

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