das gewebe literarischer erfahrung - Dr. Jörg-Dietrich Steitz ...
das gewebe literarischer erfahrung - Dr. Jörg-Dietrich Steitz ...
das gewebe literarischer erfahrung - Dr. Jörg-Dietrich Steitz ...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
128 <strong>Jörg</strong> <strong>Steitz</strong>-Kallenbach<br />
Diese Setzung ist insofern bedeutsam, als sie <strong>das</strong> literaturunterrichtliche Geschehen<br />
als sprachliches Geschehen definiert und damit nicht-sprachliche Rezeptionsweisen<br />
z.B. präsentativ-symbolischer Qualität als literaturdidaktisch irrelevant aus der Untersuchung<br />
ausschließt. Dabei kann sich Wieler auf entsprechende Zielformulierungen<br />
kultusministerieller Richtlinien (vgl. ebenda) berufen, die eben genau jene ausschließliche<br />
Orientierung an der sprachlichen Repräsentation von Rezeption fokussieren.<br />
Die Richtlinienperspektive deckt sich zudem mit dem von Wieler zum Einsatz<br />
gebrachten methodischen Instrumentarium, <strong>das</strong> sie der Konversationsanalyse<br />
entlehnt (vgl. 13), sowie mit einer nicht weiter begründeten literaturdidaktischen<br />
Prämisse, nach der Vorschläge für einen produktions- und handlungsorientierten<br />
Literaturunterricht als „Kapitulation vor den institutionell bedingten Restriktionen<br />
der Unterrichtskommunikation“ (221) und als literaturdidaktische Kolonisation der<br />
Erstrezeption von Schülern bezeichnet werden (vgl. 221f). So überzeugend Wielers<br />
Analyse einer konkreten Unterrichtskommunikation als strategisch verzerrter Kommunikation<br />
ist (vgl. 40 - 84), so vage bleiben ihre literaturdidaktischen Konsequenzen.<br />
Sie propagiert die Ausgrenzung eines eigenen Lernbereichs des verständigungsorientierten<br />
Umgangs mit Literatur, der sich am „gesprächstheoretischen Ideal<br />
der Romantik“ (227) orientiert, wobei sie darauf hinweist, <strong>das</strong>s die Institution Schule<br />
diesem Unternehmen letztlich feindlichen gesonnenen ist (vgl. 222ff). 58 Eine für die<br />
Konzeptualisierung des Literaturunterrichts als kommunikatives Geschehen innerhalb<br />
der literaturdidaktischen Interaktionsfigur der Wissenschaftsorientierung wichtige<br />
Setzung nimmt Wieler mit folgender Bemerkung vor:<br />
„Im Zentrum der Konzeptualisierung literaturorientierter Auseinandersetzung<br />
im Unterricht muß <strong>das</strong> kommunikative - und nicht <strong>das</strong> hermeneutische - Handeln<br />
stehen.“ (223)<br />
Mit dieser Prämisse, deren literaturdidaktische Konsequenzen Wieler selbst nicht<br />
mehr entfaltet 59 , rücken gesprächsanalytische 60 Perspektiven sowohl in<br />
58 Zu Recht haben Michael Becker-Mrotzek und Uta Quasthoff darauf hingewiesen, <strong>das</strong>s die mit solchen<br />
Überlegungen verbundene Hoffnung, „den institutionellen Charakter von Unterricht außer Kraft und<br />
alltagsanaloge Lerndiskurse in Gang zu setzen“, letztlich scheitern muss, wenn sie die „Institutionalität“<br />
von Unterrichtsinteraktion bloß negiert (Becker-Mrotzek/Quasthoff 1998, 9) und durch eine ‚Privatisierung’<br />
von Unterrichtshandlungen ersetzen will. Die von Becker-Mrotzek und Quasthoff gewählte<br />
gesprächsanalytische Ebene der Kritik dieser Hoffnung lässt sich durch eine Kritik der Psychodynamik<br />
dieser Hoffnung innerhalb des Antagonismus von Familie und Kultur (vgl. Erdheim<br />
1982, 284-358, 1988b, 208ff und 1998) sinnvoll ergänzen (vgl. oben S. 28f).<br />
59 Wielers weitere Forschungen zur literarischen Sozialisation und zu frühen kinderliterarischen Prozessen<br />
(Wieler 1994, 1995, 1997) lassen allerdings eine Orientierung an den methodischen Prinzipien<br />
und an theoretischen Grundlagen der ‚emergent literacy studies’ (vgl. Wieler 1997, 24ff) erkennen, als<br />
deren Folge literarische Sozialisation eher in der Perspektive sprachlicher Sozialisation als in der Perspektive<br />
literar-ästhetisch-affektiver Sozialisation gesehen wird. Diese Perspektive ist dann auch eingebunden<br />
in Konzeptualisierung einer Didaktik der Mündlichkeit im Deutschunterricht (vgl. Wieler<br />
2000).<br />
60 Mitunter scheinen in den Forschungsansätzen diskurs- und gesprächsanalytische Begrifflichkeiten<br />
gegeneinander austauschbar. Didaktischer Fokus ist dabei durchgehend <strong>das</strong> Unterrichtsgespräch und<br />
die kommunikative Kompetenz der Schüler im aktuellen kommunikativen Geschehen des Unterrichts.